„Viele Graffiti-Writer entwickeln durch diese Auseinandersetzung mit dem Stadtbild einen sehr ausgeprägten Sinn für Architektur.“ INTERVIEW mit Ole von Oepen
Graffiti und Spray-Kunst führen ein seltsames Zwitterdasein – einerseits ist alles, was mit Urban und Street Art zu tun hat, unglaublich “in” und darf auf vielen besonders hippen Events kaum fehlen. Andererseits assoziiert man großteils Graffiti immer erst einmal mit unliebsamen Schmierereien an Hauswänden. Eine eigenartig ambivalente Situation – mit der sich Graffitikünstler Ole von Oepen in seiner Arbeit auseinandersetzt.
Der Essener Künstler ist auch Architekt. Nicht zuletzt deswegen thematisiert er ein ganz fundamentales Charakteristikum des Graffiti – seine Verbundenheit mit der Architektur und der urbanen Umgebung. Spraybild und Wand sind im Grunde nicht trennbar zu denken, ein Umstand, dessen man sich zumeist nicht (positiv) bewusst ist. In seinen Arbeiten versucht von Oepen die Grenzen zwischen Baukultur und Urban Art aufzubrechen und die immer noch bestehenden Vorurteile gegenüber Graffiti zu hinterfragen. Ist Graffiti nicht doch ein unverzichtbarer urbaner Mehrwert? Sind es allein die Graffitikünstler, oder nicht auch jene Architekten, die ihre Vorstellung von Ästhetik dem öffentlichen Raum in teils egoistischer Manier aufzwängen?
In aktuellen Arbeiten, die gerade in einer Ausstellung in Essen zu sehen waren, spielt der Künstler mit diesem vermeintlichen “Konflikt” zwischen Architektur und Graffiti – denn „Cool houses love fresh paint“. Während es allerdings besser ist, „Star Architects – When they come you better run“!
Im Interview mit deconarch.com – übrigens dem ersten, das sich dieser durch und durch urbanen Kunst widmet! – beschreibt Ole von Oepen, wie sehr Graffiti Städtebau und unsere Wahrnehmung von urbanen Räumen beeinflussen kann, wie Architektur und Graffiti zusammengehen und wie ihn nicht zuletzt die Urban Art zu seinem Beruf als Architekt gebracht hat.
*** Vorab zum Verständnis: Die Bezeichnung „Writer“ bzw. „Writing“ ist bereits zu Anfangszeiten der Graffitibewegung in New York genutzt worden, als es hauptsächlich darum ging, seinen Namen immer und überall hin zu schreiben. Auch wenn sich Graffiti mit der Zeit immer weiter entwickelt hat und nicht mehr auf pure Schriftzüge reduziert werden kann, ist der Begriff sicherlich aktuell.***
all illus. (c) Ole von Oepen,
www.olevonoepen.de
INTERVIEW
„When urban art + architecture go hand in hand“ – du arbeitest buchstäblich mit und an der Architektur, aber auch mit Architekturmotiven. Was interessiert dich daran?
Für mich gibt es zwei Bereiche, die mich seit unterschiedlichen Zeitabschnitten begleiten. Das ist zum einen Graffiti und zum anderen die Architektur. Graffiti und alles was bei mir aus und durch Graffiti entstanden ist, bestimmt nun schon seit fast 20 Jahren meine kreative Aktivität. Da Graffiti eher städtischen Charakter hat und somit zwangsläufig auch eine Verbindung zur Architektur besteht, habe ich mich bereits vor dem konkreten Architekturstudium unter anderem mit städtebaulichen Situationen und Gebäudetypologien befasst, ohne es bewusst als ausgebildeter Architekt wahrzunehmen.
Als Graffiti-Artist muss man ein Gefühl für die architektonische Basis entwickeln – aus rein technischer Sicht bezogen auf Untergründe, Materialwahl etc., aber auch im ästhetischen Sinne, was zum Beispiel die Auswahl der Location für ein Graffiti angeht, um am Ende ein angemessenes Foto davon zu bekommen. Als Graffiti- Maler dokumentiert und archiviert man seine Arbeiten in Form von (analogen oder digitalen) Fotoalben. Dazu gibt es auch noch Graffitimagazine und Bücher, die immer verstärkter Wert auf atmosphärische Fotos von Graffitis legen.
Auch wenn sich das dem „Graffiti-Laien“ nicht direkt erschließt, gibt es schon Writer, die konkrete Stellen für ihr Graffiti auswählen, da sie das Resultat im Kontext mit der Umgebung, Atmosphäre fasziniert. Das perfekte Foto ist am Ende das „I-Tüpfelchen“ für den Graffiti-Maler. Ich würde fast behaupten, dass viele Writer durch diese Auseinandersetzung mit dem Stadtbild einen sehr ausgeprägten Sinn für Architektur entwickeln.
Von der Arbeit im Stadtraum dann der Schritt zu auch „transportablen“ Bildern …
Wie bei vielen anderen Graffitimalern war bei mir der nächste Schritt nicht all zu weit entfernt, auch andere Medien und Techniken auszuprobieren. Ich fertigte erste Bilder mit Acryl auf Leinwand an und wählte dabei architektonische Motive, die mit New York die Geburtsstadt von Hip Hop und Graffiti thematisierten. Während des Architekturstudiums hat sich dann eine beständige Auseinandersetzung mit den beiden Themen entwickelt. Seitdem versuche ich, Urban Art und Architektur in meinen Arbeiten zu kombinieren, da das Spannungsverhältnis enormes Potenzial bietet.
Eine Frage an den Architekten Ole: Welche Möglichkeiten bietet Graffiti für die Architektur?
Man muss hier noch mal differenzieren zwischen illegaler Graffiti-Kultur und dem, was sich zur Zeit aus Graffiti heraus an „legaler Kunst“ entsteht. Zum einen denke ich, dass Architekten zumindest in großstädtischen Bereichen lernen müssen, sich ernsthaft mit dem Thema Graffiti auseinanderzusetzen. Wer z.B. in Berlin Kreuzberg einen Neubau errichtet, muss darauf vorbereitet sein, dass innerhalb kürzester Zeit die Fassade nicht mehr im Ursprungszustand ist. Fakt ist, dass sich Graffiti nicht mehr aus der Stadt verbannen lässt.
Warum nicht also Graffiti bewusst mit einbeziehen?
Um beim Beispiel Kreuzberg zu bleiben: In den 90ern wurde der Stadtteil massiv mit (ungenehmigten) Graffitis übersäht. Viele Ladenbesitzer haben aus der Not eine Tugend gemacht und sich in Form von Graffiti-Aufträgen die Ladenfronten gestalten lassen. Statt billig ausgeführter Wandbeschilderungen oder anderer Werbung gab es somit ein individuelles Farb- und Gestaltungskonzept, angepasst an den jeweiligen Laden. Ein Trend, der aus New York ‘rüberschwappte, wo viele Ladenbesitzer Graffiti-Artists als werbewirksame Fassadengestalter beauftragten.
Wenn ein Immobilieneigentümer seine Hausfront zur legalen Gestaltung freigeben würde, entstünde dadurch auch direkt eine andere Qualität an Graffiti auf seiner Hauswand. Es wäre also durchaus möglich, als Planer von vornherein eine Solche Lösung bei einem Neubau in Graffiti-lastiger Umgebung in Betracht zu ziehen und dem Auftraggeber vorzuschlagen. Ein gezielter Graffiti-Auftrag auf einem neuen Gebäude kann auch durchaus auf die Architektur abgestimmt sein und somit ein konzeptionelles Element bilden.
Zurück zum Graffiti: Welche Themen interessieren dich im Besonderen?
Ein konkretes Thema, das immer wieder in meinen Bildern auftaucht, ist der Stellenwert von Graffiti in unserer Gesellschaft. Meiner Meinung nach wird Graffiti immer noch zu undifferenziert in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Gerne vergleiche ich auch Graffitimaler und Architekten miteinander. Auch wenn es zugegebenermaßen eine gewagte These ist, kann ich einige parallele Charaktereigenschaften erkennen: Während der Graffiti-Writer anderen Bürgern seine Form von Ästhetik im Stadtbild aufzwängt und damit inhaltlich in den meisten Fällen lediglich sich selbst und die Graffiti-Szene erreicht, passiert dies auf einem anderem Level auch in der Architektur. Bei manchen Bauwerken (gerade von weltbekannten Architekten) stellt sich für mich die Frage, ob für Nutzer und Bürger gebaut wurde – oder eher für die Veröffentlichung innerhalb der Architekturszene, in der man sich gegenseitig feiert.
Selbstverständlich ist hier natürlich der Unterschied, dass das eine illegal und das andere ein offizieller Auftrag ist. Ich frage mich nur manchmal, was schlimmer ist … Mir geht zu oft der Gedanke verloren, dass der Architekt die Aufgabe hat, für das gesamte städtische Umfeld zu planen. Bei einigen Gebäuden erschließt sich mir nicht wirklich, inwieweit städtebaulich im Sinne der Umgebung konzipiert wurde, und somit stechen manche Umsetzungen aus dem Kontext heraus, wie Graffiti auf einer frisch verputzten weißen Fassade.
Wie ist dein Arbeitsprozess: Gehst du konzeptionell vor oder „findest“ du deine Themen während des Arbeitens?
Es gibt immer wieder unterschiedliche Arbeitsprozesse und Herangehensweisen, je nach Projekt. Die Themenfindung ist ein nicht vorhersehbarer Prozess. Sobald ich eine erste Idee habe, wird diese als kurze Gedankenstütze aufgescribbelt. Ich muss hier zugeben, dass ich bei meinen Skizzen (wenn es welche gibt) relativ schnell arbeite, um dann das konkrete Zielmedium zu bearbeiten. Ich pflege also kein wirklich vorzeigbares Skizzenbuch.
Das Wunschergebnis für das jeweilige Bild habe ich relativ konkret im Kopf. Kleinere Details und Konzeptänderungen entstehen dann während des Arbeitens. Hier muss ich aber noch zwischen den unterschiedlichen Arbeiten unterscheiden. Bei Bilderserien, die ich z.B. für eine Ausstellung anfertige, betreibe ich einen anderen konzeptionellen Aufwand, als wenn ich spontan mit Freunden an einem sonnigen Samstagnachmittag innerhalb von ein paar Stunden ein Bild auf die Wand male. Auf der anderen Seite gibt es auch Wandarbeiten, die sehr konzeptionell sind und eine dementsprechende Vorplanung benötigen. Generell muss ich aber sagen, dass ich, auch wenn ich nicht der leidenschaftliche Skizzierer bin, auch bei kleineren Wandarbeiten sicherer mit einer klaren Vorstellung starte, zumindest was die Farbkombination betrifft.
Woran arbeitest du aktuell?
Zur Zeit arbeite ich mit „Star Architects – when they come you better run“ an einer Serie, die sich mit meines Erachtens zumindest fragwürdigen Architekturentwürfen beschäftigt. In Anlehnung an alte Horrorfilm-Plakate treten diese Gebäude in Form von Ungeheuern im städtebaulichen Kontext auf und versetzen die Nachbarschaft in Angst und Schrecken. Diese Bilder sollen auf gar keinen Fall als eine Art Majestätsbeleidung aufgefasst werden! Hier stehen Humor und Ironie im Vordergrund. Ich bin davon überzeugt, dass die dargestellten Protagonisten dies auch einschätzen könnten, würden sie diese Bilder zu Gesicht bekommen.
Eine weitere Serie ist mehr aus dem Graffiti heraus entstanden. Da ich an einem gewissen Punkt ein Stagnieren in meiner Style-Entwicklung festgestellt habe, suchte ich nach einer neuen Thematik, die ich im Graffiti-Bereich umsetzen kann und die Brücke zwischen Graffiti und Architektur schlägt. Unter dem Titel „Cool houses love fresh paint“ male ich Comic-Häuser, die in Form von Gestiken zeigen, dass sie den Graffitis auf ihrer Hausfront wohlgesonnen sind. Diese Häuser setze ich sowohl in Form von Graffiti auf der Wand, als auch in kleinen Bilder-Serien aus Acryl, Digitaldrucke etc. um.
Warum arbeitest du mit Graffiti und, etwas weniger lang, mit Urban Art? Wie kam es dazu und welche besonderen Möglichkeiten eröffnen sich dadurch für dich?
Mit 13 Jahren habe ich, inspiriert durch einen Klassenkameraden, mein erstes Bild gesprüht.
Die Art und Weise, an Graffiti heranzugehen, hat mich von Anfang an begeistert. Jeder, der mit Graffiti anfängt, ist nicht sonderlich gut in dem, was er da tut. Doch mit immer mehr Übung und Produktivität hat man es selbst in der Hand, seine Qualität als Graffiti-Writer zu steigern. Auch die technischen Grundregeln, die es zu beachten gilt, sind extrem vielseitig, je nachdem, was man für Resultate erzielen möchte. Es gibt einige ungeschriebene Gesetze, bezogen auf Typografie, Technik, Style-Entwicklung, die von den Writern fast schon konservativ eingehalten werden.
Man kann hier sicherlich von einem Handwerk reden, dass man sich erarbeiten muss. Da die Industrie auf die Nachfrage schon relativ früh reagiert hat und sich immer weiter entwickelt, gibt es für alle Bedürfnisse das passende Equipment. Dosen mit unterschiedlichem Druckverhalten und Farbzusammensetzungen, Caps (Sprühköpfe) für die verschiedensten Linienstärken. Wer einen Writer bei der Arbeit beobachtet, wird schnell sehen, dass die Arbeitsabläufe in der Regel sehr strukturiert und automatisiert sind. Die Reihenfolge des Bildaufbaus ist bei fast allen Malern dieselbe.
Doch abgesehen von der technischen Herausforderung haben viele Leute, die als Jugendliche mit Graffiti angefangen haben, dadurch vor allem ihren Sinn für Kreativität im Allgemeinen schärfen können und sind nun erfolgreich im Bereich Kunst, Architektur oder Design. Auch ich habe dadurch die Leidenschaft für andere kreative Bereiche entwickelt und arbeite mittlerweile mit verschiedensten Materialen und Medien parallel zum klassischen Graffiti. Viele meiner Arbeiten sind zwar Graffiti-inspiriert, da aber für mich Graffiti mit Sprühdosen draußen stattfindet und nicht mit Acryl und Pinsel auf Leinwand und ich auch bei manchen Projekten eher digital arbeite, würde ich das, was ich parallel zu Graffiti mache, „Urban Art“ nennen.
Wer inspiriert dich, gibt es Vorbilder?
Durch das Internet kann man mittlerweile fast von einer Reizüberflutung sprechen. Richtig konkrete Vorbilder kann ich gar nicht nennen, aber es gibt so unfassbar viele, teils noch sehr junge Leute, die einen sehr respektablen Output haben. Es gibt dadurch immer mal wieder Bilder von Leuten, die einen inspirieren und den Ansporn liefern, seine Sache weiter durchzuziehen. Ganz großen Respekt habe ich vor den Leuten, die es geschafft haben, ihrer Graffiti-Linie treu zu bleiben und davon ihr Leben bestreiten zu können. Viele von denen sind bereits 30 Jahre aktiv und haben sich das definitiv hart erarbeitet!
Ole, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit und in die Welt der Graffiti!