Thomas Florschuetz ASSEMBLY | Rezension
Die rund 150 Seiten starke Publikation versammelt Thomas Florschuetz‘ Serie Assembly, an der er seit 2010 arbeitet und die 2013 im Museum Wiesbaden erstmals öffentlich gezeigt wurde. Sie umfasst Fotografien aus Regierungs- und Versammlungsgebäuden in Brasilien, Indien, Deutschland und den USA, etwa Niemeyers Brasília oder Louis Kahns La Jolla-Campus. Dabei sind aber auch Aufnahmen aus dem Berliner Palast der Republik vor Abriss oder dem Neuen Museum. In ihnen begegnen ebenfalls Ansichten von Innen- und Außenräumen als Abfolgen von Wandflächen und Durchlässen, von Strukturen, Formen und Materialien.
Thomas Florschuetz | Assembly
Hrsg. Museum Wiesbaden, Text von Alexander Klar, Gestaltung von El vivero, Madrid, Thomas Florschuetz, Deutsch/Englisch, 2013
ISBN 978-3-7757-3651-0
35 Euro
Der begleitende Katalog – abgerundet von einem Text von Alexander Klar, seit 2010 Leiter des Museums Wiesbaden, sowie kurzen Informationen zu den Orten, die Florschuetz fotografiert hat – konzentriert sich der Band auf die Präsentation der Fotografien. Diese werden in einem geschlossenen Block ohne Textunterbrechungen – auch die Bildtitel finden sich im Anhang – präsentiert.
Man darf sich nicht täuschen lassen vom ersten Blick auf die – in natura großformatigen – Fotografien von Florschuetz. Zwar sind darauf Gebäude zu sehen – äußerst bekannte sogar, errichtet von Ikonen der modernen Architektur wie Le Corbusier oder Oscar Niemeyer –, trotzdem handelt es sich nicht um Architekturfotografie im klassischen Sinne. Denn es ist nicht das dokumentarische Porträt dieser Bauten, das Thomas Florschuetz (*1957) festzuhalten sucht. Vielmehr spürt er signifikante Ausschnitte, Details, Teilansichten auf und folgt dabei einem ästhetischen Konzept, nicht der Logik der Architektur.
Enclosure (CC) 31 etwa zeigt einen modernistisch nüchternen Innenraum, der von Sichtbeton bestimmt wird. Statt einer perspektivischen Durchsicht in den Raum hinein, wie man es von solchen Aufnahmen gewohnt ist, wird der Blick jedoch buchstäblich verstellt: eine Zwischenwand und eine Säule nehmen die Bildmitte ein, das Zentrum des Bildes ist „zugebaut“. Statt weiter Sicht irritieren geschlossene Sichtachsen. Wo ist das Motiv? Was sehen wir da? Der Betrachter verspürt unwillkürlich das Bedürfnis, zu Seite zu treten, um die Säule herum, an der Wand vorbei zu schauen, um den Innenraum zu erfassen – denn ein angeschnittenes Fenster sowie diffuses Licht verraten, dass es ein „Dahinter“ gibt. Obwohl klar ist, dass hier ein Innenraum präsentiert wird, ist das Gebäude selbst nicht erkennbar – dass es sich um den Capitol Complex in Chandigarh handelt, verrät nur das Kürzel CC im Bildtitel. Die Fotografie begegnet nicht als Architektur-Porträt, sondern als autonomes Bild, das von Formen, Flächen, Strukturen geprägt ist.
„Florschuetz versucht nicht die Intention des Architekten in Idealansichten herauszuarbeiten, sondern tritt in einen kritischen Dialog mit dem Baumeister und dessen Arbeit ein“, schreibt Alexander Klar im Begleitkatalog. Das Fragment, die ausgewählte Teilansicht ist wesentliches Element der Bildersprache. Damit sind diese Fotografien, stets menschenleer und mit fast abstrakter Qualität auf Formen und Strukturen fokussiert, auch eine konsequente Weiterentwicklung Florschuetz’, dessen fotografische Haltung auf dem Prinzip der fragmentarischen Darstellung beruht – seine Tableaus aus Teilansichten menschlicher Körper aus den 1980er-Jahren zählen zu den Klassikern der jüngeren Fotografiegeschichte.
Übrigens sind auch in Assembly Menschen eingestreut: Die Individuals, auch sie zum ersten Mal öffentlich zu sehen, zeigen bildfüllende Rückenansichten und bilden einen ebenso irritierenden wie amüsierenden Gegenpol zu den Bauansichten.
„Vollendet“ sind Florschuetz’ Arbeiten letztendlich erst mit der Inszenierung im Ausstellungsraum – oder alternativ in einer Publikation: Nicht das Einzelbild, sondern die Komposition in Bildgruppen verdeutlichen sein Konzept. Viele Aufnahmen sind in Wiederholung entstanden. So zeigen häufig zwei oder mehr Aufnahmen die gleiche Ansicht mit oft nur minimalen Verschiebungen, unterschiedlichen Zooms, leichten Kameraschwenks und zwingen den Betrachter zum genauen Hinschauen.
(Der Text basiert in Teilen auf einem Artikel für Bauwelt 1-2, 14, 2013.)
Illus. courtesy Hatje Cantz