Marzahn 1983 | ROGER MELIS in Berlin
The Marzahn complex was built between 1976 and 1990 to solve the housing problem in the north-east of Berlin. As one of the largest construction projects in the GDR, it created space for around 165,000 inhabitants. However, in the beginngin, there were no paved walkways and street lighting available everywhere. Also, the crowded buses were only replaced by a tram in the course of time, after the urges of the inhabitants of Marzahn. For many, the prefabricated buildings stood for a society in which work was carried out during the day and at night “the work force was reproduced.” Roger Melis (1940-2009), who became known as a co-founder of East German photography, mainly through his portrayals of portraits, fashion, and reportage, crossed the settlement in the winter of 1983 and created a portrait of the “sleeping town.”
Roger Melis
Marzahn 1983
Bilder einer neuen Stadt
8. September bis 21. Oktober 2017
Galerie für Moderne Fotografie, Berlin
www.galeriefuermodernefotografie. com
PR Info _ Die Großwohnanlage Marzahn wurde von 1976 bis 1990 als Antwort auf die Wohnungsfrage im Nordosten Berlins erbaut. Als eines der größten Bauprojekte der DDR schuf sie am Ende Raum für rund 165.000 Bewohnerinnen und Bewohner. Gepflasterte Gehwege und Straßenbeleuchtung waren anfangs noch nicht vollständig vorhanden. Auch die überfüllten Busse wurden erst mit der Zeit durch eine Straßenbahn ersetzt, um die Menschen zu Kneipen, Restaurants, vielseitigeren Einkaufsmöglichkeiten oder Spielplätzen zu fahren, die erst allmählich auf Drängen der Einwohner in Marzahn entstanden. Für viele standen die Plattenbauten für eine Gesellschaft, in der tagsüber gearbeitet wird und nachts »die Arbeitskraft reproduziert« wurde.
Roger Melis (1940–2009), der als Mitbegründer der ostdeutschen Autorenfotografie vor allem durch seine Porträt-, Mode- und Reportageaufnahmen bekannt wurde, durchstreifte die Siedlung im Winter 1983 und schuf ein für sein Werk ungewöhnliches Porträt der noch im Bau befindlichen »Schlafstadt«. Während in seiner Bildwelt normalerweise das Individuum in seiner Eigenart im Mittelpunkt steht, sind die Verhältnisse hier umgekehrt. Die zu schemenhaften Silhouetten gewordenen Körper der wenigen Menschen werden von hochgewachsenen Gebäuden, Rastern, Linien und Flächen der vorgegebenen Infrastruktur umfasst, die im Fokus der grafischen Schwarzweißbilder stehen.
Doch zeigen die Aufnahmen, wenn auch abstrakter, ein besonderes Interesse am Duktus der Bewohner. Zieht doch der weiche Schnee wie eine zweite Ebene ein organisches Wegesystem in die Landschaft: Schlittschuhe, Autos, Kinderwägen und Schritte hinterlassen als teils diffuse, teils zu langen Bahnen und Mustern organisierte Spuren einen Abdruck der im Bild abwesenden Bewohner. So erscheint die Serie weniger als eine klassische Architekturfotografie, denn als ein abstraktes, konzeptuelles Gesellschaftsportrait, in dem die entstehende Architektur den im Aufbau begriffenen Staat und sein zwiespältiges Verhältnis zwischen System und Individuum versinnbildlicht.
Die von Mathias Bertram und Kirsten Landwehr kuratierte Ausstellung zeigt erstmal 23 Aufnahmen aus der bislang unbekannten Serie in einer Archivedition. Der Begleittext zur Ausstellung wurde von Isabelle Busch geschrieben.
Info + illus. courtesy Galerie für Moderne Fotografie