„Ich sehe Kunst als Möglichkeit, aus Antworten neue Fragen die generieren.“ INTERVIEW mit Joas Sebastian Nebe
Architektur ist ein beliebtes Motiv der Fotografie. Im Medium der bewegten Bilder, in Video und Film, ist sie dagegen wenn, hauptsächlich als „Staffage“ oder Hintergrund, vor dem sich ein Geschehen abspielt, präsent. Möglicherweise liegt dies daran, dass das Gebaute als statisches Element schwer mit der Dynamik des Filmes kompatibel ist.
Der Hamburger Künstler Joas Sebastian Nebe, der sich nach einem Psychologiestudium und der Tätigkeit an der Universität für die Kunst entschieden hat, setzt in seiner Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Sprache nach, dem Ausdrucksmedium der Menschen schlechthin, an und spürt verborgenen Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen nach. Ein wichtiges Element seiner Arbeit ist die Architektur als Bedeutungsträger menschlicher Präsenz. Nebe wählt vorzugsweise das Medium des Video, er arbeitet darüber hinaus aber auch mit Druckgrafik und Malerei sowie Lichtskulptur.
Im Gespräch mit deconarch.com – eines der ersten mit einem Videokünstler!– erzählt Joas Sebastian Nebe, was ihn an der Beobachtung mit Architektur reizt, warum ihn das Thema der Sprache und der Wissenssammlung in Enzyklopädien beschäftigt und wie er verschiedene filmische Methoden einsetzt.
Illus. (c) Joas Sebastian Nebe
INTERVIEW
Du hast zunächst Psychologie studiert und in diesem Bereich gearbeitet, dich dann aber für die künstlerische Arbeit entschieden. Wieso Kunst? Welche Möglichkeiten eröffnet dir die künstlerische Arbeit?
Mich interessiert die Schnittstelle zwischen Kunst und Sprache im weitesten Sinne. Anders als die Philosophie, die teilweise wie die Kunst versucht, die großen – Woher, wohin? – und kleinen Fragen des Lebens (Was bedeutet ein Blitzableiter auf dem Kirchendach?) zu beantworten, bietet die Kunst die Möglichkeit, aus Antworten neue Fragen die generieren. Das ist es, was mich interessiert.
Ich habe mein Diplom über die Bedeutung von C.G.Jungs Archetypen für den Spielfilmerfolg geschrieben und danach am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg Filmanalyse unterrichtet. Beides keine typischen psychologischen Tätigkeiten
Welche Themen beschäftigen dich?
Woher, wohin, weshalb, woraus Träume sind und – ganz wichtig in unserer von übersteigerter Rationalität und gleichzeitig übertriebener Irrationalität geprägten Zeit –: die Bedeutung des Verstandes, des Denkens im Gegensatz zum Fühlen und Glauben.
Wie und wo findest du deine Ideen und Themen?
Ich arbeite viel mit den Strukturen des gedruckten Worts. Alle möglichen Gattungen des literarischen Erzählens interessieren mich. Eines meiner Videoprojekte, die Encyclopedic Cartoons, beschäftigt sich mit dem während der Aufklärung im 18. Jahrhundert entstandenen Konzept der Enzyklopädie. Natürlich spielen Spielfilm, Architektur und Mode ebenfalls eine große Rolle.
Das Thema „Lexikon“ oder „Enzyklopädie“ ist ein zentrales Thema deiner Arbeit. Kannst du uns das etwas näher erläutern?
Das Lexikon steht für mich für die Aufklärung. Die Aufklärung ist bei uns zunehmend in Verruf geraten, aber, wie ich glaube, zu Unrecht. Prinzipiell ist ein Überleben, Zusammenleben nur durch Vernunft machbar. Allerdings hat die Vernunft eben auch Grenzen. Diese müssen ständig reflektiert werden, damit Vernunft nicht zu einer Diktatur wird. Denn auch das steckt in der Vernunft. Das Lexikon verkörpert die Vernunft, weil es Kategorien (Begriffe) benennt und beschreibt und so Zusammenhänge sichtbar macht. Es ist ein Mittel der Erkenntnis. Die Enzyklopädie strebt nach der Erkenntnis der Welt, ein riesiger Anspruch, eine Utopie. Einzelne Autoren schreiben zu einzelnen Themen Artikel, die die Themen analysieren und erklären.
Die Encyclopedic Cartoons zitieren dieses Vorgehen, indem sie 52 Filme zu 52 Begriffen dem Betrachter anbieten, je ein Film zu einem Begriff. Ähnlich wie in einer Enzyklopädie (einem Buch, einer CD-ROM) kann der Betrachter sich die Begriffe aus einem Begriffskatalog heraussuchen, sie anwählen und den Film dazu betrachten. Der Begriff wird hier also nicht von einem Text, sondern von einem Film „erklärt”. Das ist die strukturelle Ähnlichkeit zur Enzyklopädie. Da es sich aber nicht um ein wissenschaftliches Projekt handelt, sind die Filme allerdings nicht nüchtern erklärend. Vielmehr spielen die einzelnen Filme mit dem Assoziationsraum, den der jeweilige Begriff besitzt.
Das Stichwort „Architektur“ ist bereits gefallen, ebenfalls ein wiederkehrendes Thema deiner Arbeit. Was interessiert dich an der Architektur?
Architektur interessiert mich, weil sie manchmal viel über ihre Bewohner resp. Erbauer, eine bestimmte Kultur aussagt. Architektur ist für mich wie ein Besuch nicht im Reiseführer empfohlener Orte, durch den man mehr über ein Land und die Eigenarten seiner Bewohner erfährt.
Gleichzeitig ist Architektur für mich eine Chiffre der Vergänglichkeit. Gebäude sind an sich zunächst „immobil”. Dennoch verändern sie die äußeren Einflüsse wie das Wetter. Ein bestimmtes Klima kann einem Gebäude mehr zusetzen als ein anderes. An den Verwitterungen, den Zerstörungen, die die Zeit einem Gebäude zufügt, lese ich das Vergehen der Zeit ab. In diesem Sinne benutze ich Gebäude in meiner Filmserie Philosophical Cartoons.
Architektur ist ein beliebtes Motiv für Fotografie, bei Videos/Film ist sie dagegen, wenn, dann mehr als „Staffage“ oder Hintergrund Thema – wohl weil Gebautes als statisches Element schwer mit der Dynamik des Filmes kompatibel ist. Wie löst du das? Warum gerade die Verbindung von Video und Architektur-Themen?
Hier gilt das Gleiche, wie für die Architektur in Bezug auf ihre Bewohner. Ich benutze viele Elemente der Filmsprache ex negativo. Ich betone z.B. die Bewegung, die für den Film, besonders den Spielfilm, zentral ist, indem ich sich kaum verändernde Einstellungen zeige, etwa in Santiago Capriccio, dem fünften der Philosophical Cartoons, wo nur eine sich verändernde Fassade gezeigt wird, die zudem noch die Blickachse in die Tiefe des Bildes verbaut.
Indem ich Gebäude zum Protagonisten eines eins-, zwei-, dreiminütigen Films mache, drehe ich das Prinzip des (Spiel-)Films um und zwinge den Betrachter, mehr Aufmerksamkeit auf ein eigentlich unwichtiges Element zu richten. Aber auch im Spielfilm sind die Fassaden wichtig, weil sie eine bestimmte Atmosphäre schaffen, etwas über den Protagonisten aussagen etc.
In deinen Arbeiten sind keine Menschen zu sehen, aber letztlich bezieht sich alles auf den zeitgenössischen Menschen, etwa in der durch den Menschen „geformten“ Großstadt. Hier kommt das Prinzip der „Inversion“ zum Tragen. Welche Möglichkeiten bietet es?
Das Prinzip der Inversion erlaubt, Dinge indirekt auszusprechen, dem Betrachter einen Anstoß zum Nachdenken zu geben. Inversion hat etwas von einem Rätselspiel, das ich mit dem Betrachter spiele. Rätselspiele dieser Art fördern die Kreativität und machen den Zuschauer auch zu einer Art Künstler.
Du integrierst auch immer wieder historisch bedeutsame Orte in deine Arbeit.
Bedeutungsschwere Orte sagen etwas aus über die Menschen, die diese Orte geprägt haben. Da diese Orte eine historische Bedeutung erlangt haben, weil irgendein schreckliches oder schönes Ereignis dort stattgefunden hat, verweisen sie natürlich auf die Vergangenheit und das Ereignis selbst bzw. auf das, für das es steht.
Die große Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin Mitte etwa, die in Machine Fair vorkommt, verweist einerseits auf die Reichskristallnacht und damit auf den Genozid an den Juden, andererseits auch auf die Wiederansiedlung von jüdischen Immigranten in Berlin und in Deutschland.
Bedeutungsschwere Orte fungieren als Übersetzungsmechanismen. Jeder verbindet etwas mit ihnen. Damit ist der Zugang geschaffen und es bleibt dem Einzelnen überlassen, sich auf das mit ihnen Verbundene einzulassen.
Übersetzungsmechanismen setzt du auch in Titeln ein, etwa wenn du V-Belt als Kapitel-Bezeichnung in der Arbeit Machine Fair benutzt…
Den Begriff “Übersetzung” benutze ich im Sinn von Verwandlung des gefilmten Materials. Durch Verfremdungen, hinzugefügte Begrifflichkeiten entsteht etwas anderes, nicht mehr an das ursprünglich gefilmte Objekt Erinnerndes. Das gefilmte Objekt wird also “übersetzt” in etwas Neues. Übersetzung bezogen auf historisch bedeutsame Orte meint etwa, dass diese Orte nicht nur auf sich selbst verweisen – das bestimmte Gebäude, die bestimmte Straße, dieser Park, diese Wiese –, sondern dass dort immer auch das bestimmte historische Geschehen (der Versuch, die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße anzustecken und der Einsatz des mutigen Polizisten, der das während der Reichskristallnacht in den 1930er Jahren verhindert hat) auf einen größeren historischen Zusammenhang (die faschistische Ideologie, ihre Diktatur in Deutschland) verweist.
Machine Fair besteht aus Filmmaterial von Straßenzügen und Gebäuden wie der großen Synagoge, an denen die Kamera vorbeifährt. Es ist ein Film, der ebenso wie Encyclopedic Cartoons ganz stark mit dem Assoziationsbereich des Filmmaterials spielt.
Zuerst war bei Machine Fair das Filmmaterial da, das dann durch die Bearbeitung in der Postproduktion, die Verwendung verschiedener Filter verfremdet wird. Die ursprünglich auf dem Film sichtbaren Orte werden zu etwas Neuem, das viele Bedeutungsanteile einer Sache, eines Teils aus der Maschinenwelt hat. So gibt es einzelne Filmteile, Kapitel, die Bezeichnungen von Maschinenteilen haben (V-Belt, Flywheel, Engine etc.). Da das Ausgangsmaterial aber Straßenzüge, die Stadt selbst ist, liegt die Interpretation nahe, die Stadt als riesige Maschine zu sehen, die die Menschen, die sich in ihr aufhalten, „verarbeitet”.
Es geht in Machine Fair also auch um die Wirkung, die Architektur auf die Stadtbewohner hat. Auch minimale Bewegungen wie Hüpfen werden in deiner Arbeit zu Bedeutungsträgern – wieso?
Minimale Bewegungen werden normalerweise im Film kaum berücksichtigt. Alles ist auf Geschwindigkeit getrimmt. Diese Entwicklung geht einher mit dem Tempo der Kommunikation und der Beschleunigung der Arbeitsprozesse, der Globalisierung. Über die Beschleunigung wird aber die kleine Bewegung vergessen, mit der alles beginnt.
Wie ist dein Arbeitsprozess?
Ich suche ein Thema für meinen Film. Meist schreibe ich ein Konzept. Dann gehe ich auf Materialsuche. Manchmal kann es aber auch sein, dass mich ein Ort, eine Szene zu einem Film inspiriert. Nicht immer ist eine solche Inspiration tragfähig. Häufig verändert sie sich während des Schaffensprozesses.
Schach ist für dich eine wichtige Analogie zum Arbeitsprozess. Kannst Du das näher erläutern?
Schach ist ein strategisches Spiel ähnlich wie Monopoly. Man muss einige Züge vorausdenken, um den Überblick zu behalten. Der Spieler muss konzentriert und unabgelenkt spielen. Das macht Schach zu einem vollkommen unmodernem Spiel. Schach ist für mich ein Bild für mein Spiel mit dem Betrachter. Ich fordere ihn heraus, indem ich ihm die Erfüllung seiner Erwartungen an mein Werk verweigere.
Was ist Ziel deiner Arbeit, was möchtest du erreichen?
Wenn ein Betrachter sich auf meinen Film einlässt, darüber nachdenkt, dann war ich erfolgreich. Schlimm ist, wenn jemand den Film sieht, sich umdreht und sagt, „Ja, ganz nett”. Ich möchte, dass die Leute sich die Zeit nehmen und überlegen, was ich von ihnen will, was ich aussagen will. Natürlich weiß ich, dass Kunst, gerade auch Videokunst, viel mit langen statischen Einstellungen arbeitet oder Dinge zeigt, die sich schwer erschließen. Das ist auch manchmal in meinen Filmen der Fall. Aber Kunst soll auch Spaß machen, unterhalten. Das wird häufig unterschlagen. Also möchte ich die Betrachter durch Unterhaltung zum Nachdenken verführen, um es auf den Punkt zu bringen.
Und als letztes Stichwort zum Abschluss: „Traum“ – wie ist deine Beziehung zum Traum, zu Traumwelten?
Filme werden häufig von Kritikern als „Träume” beschrieben. Viele meiner Arbeiten haben „Traumqualitäten” im positiven wie im negativen Sinne. So sind die hermetischen, unbeweglichen, über eins, zwei Minuten eingefrorenen, nur vom sich verändernden Setlicht bespielten Stadträume in The 4th Time oder The 100,000th Journey, dem zweiten und dritten Philosophical Cartoon, von alptraumhafter Qualität.
Aber auch die aus Gebäuden erbauten Totem Toons vor den dahinter entlang ziehenden Wolken scheinen aus einer Traumwelt zu sein, so unzugänglich sind sie. Traumwelten sind Rückzugsräume, in denen unsere Intuition entsteht, gestärkt wird. Es sind Räume, in denen wir viel über uns, aber auch unsere Weltwahrnehmung lernen können.
Joas Sebastian Nebe, herzlichen Dank für das ausführliche Interview!