„Es gibt nicht viele Künstler, die Fotografie als plastische Arbeit begreifen.“ INTERVIEW mit Marc Peschke
Liquidacion Total: Marc Peschkes Fotoarbeiten spüren den kommerziellen Veränderungen in den Städten nach, und wie diese sich am „Gesicht“ der Städte – den Gebäuden – ablesen lassen. Leerstände, Abrissbauten, verlassene Orte – was nicht mehr gebraucht wird, wird entfernt und schnell ersetzt. Dieser Ausverkauf der Städte wird uns in würfelförmige „Päckchen“ verpackt vor Augen geführt – „Architekturware“ für die Konsumgesellschaft?
„The Cubes. Liquidacion Total“ ist entstanden aus Foto-Fundstücken, die Peschke bei Streifzügen durch urbane Räume in der ganzen Welt gemacht hat. Die Reihe ist die konsequente Weiterentwicklung aus der Serie „The Dark Cubes“ (2011), die in einer leerstehenden Wiesbadener Ladengalerie aus den 80er Jahren entstanden ist. Hier fotografierte der Künstler verschiedene Oberflächenstrukturen, von denen einige in einer späteren digitalen Bearbeitung zu architektonischen Gebilden umgeformt wurden. Einige – aber nicht alle: Die Serie lebt auch aus dem Wechsel von bearbeiteten und nicht bearbeiteten Bildern.
Auch für „Liquidacion Total“ werden die fotografierten Aufnahmen zum „Material“, mit dem Peschke weiterarbeitet – Ausschnitte werden ausgewählt, Details herangezoomt, Vergrößerungen gemacht. Die nicht immer sofort zu erkennenden Ansichten sorgen für Irritation. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die Sprache – sinnlos gewordene Schriftzüge preisen Waren an, weisen Benutzer auf die richtige Benutzung hin, fordern zum Kauf auf. „Se vende“ „Poussez“, „Open“.
Im Interview mit deconarch.com verrät Marc Peschke wie und warum Fotografie zum „Material“ seiner Experimente wird, was ihn an der Entdeckung urbaner Architekturräume interessiert und wieso er seine Arbeiten buchstäblich in Kisten verpackt.
all illus. (c) www.marcpeschke.de
INTERVIEW
Deine neue Serie von Fotoarbeiten, „The Cubes. Liquidacion Total“, beruht auf Fotografien, die auf Reisen entstanden sind. Wie schon in den „Dark Cubes“ begegnet uns auch hier die charakteristische Würfelform – warum die Form des Würfels?
Die „Dark Cubes“ waren eine Vorstufe, entstanden für ein Ausstellungsprojekt in Wiesbaden. Daraus hat sich die Serie „The Cubes. Liquidacion Total“ entwickelt. Diese Bilder sind an verschiedenen Orten in ganz Europa entstanden, tragen die Spuren dieser Orte in sich, sind auf sehr unterschiedliche und sehr individuelle Weise bearbeitet. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, am augenfälligsten natürlich ihre Form. Ich finde, es ist eine schöne Idee, wenn man diese Geschichten in ein Päckchen packt. In der Fotokunst tut sich seit vielen Jahren nicht mehr viel, was fehlt sind eben neue Formen. Es gibt nicht viele Künstler, die Fotografie als plastische Arbeit begreifen – der Würfel oder das Sechseck ist eine Form, die jeder kennt, wir hantieren ständig damit herum. Das gefällt mir.
Du sagst: „Ausgehend von den gefundenen Situationen und Orten schaffe ich neue Räume“. Was interessiert dich an der Arbeit mit Architekturmotiven?
Ich arbeite mit Architektur, weil das die Welt ist, in der wir uns bewegen. Sie umgibt uns, bestimmt unser Leben. Uns wird viel zugemutet, durch Architektur und Design, finde ich. Ich denke, dass wir eine große Zeit unseres Lebens an Orten verbringen, die bar jeder Würde und Schönheit sind. Das ist zum Zeichen unserer Zeit geworden. Und das ist der Anlass für meine „Cubes“. Es geht darum, aus den Trümmern von Leerständen etwas herauszulösen, was von einer vergangenen Schönheit erzählt.
Wie entwickelst du deine Themen – gehst du konzeptionell vor oder „findest“ du deine Themen während des Arbeitens?
Es ist eher so, dass ich mich für ein Thema entscheide. Wie aktuell bei meiner Serie „The Cubes. Liquidacion Total“, wo es das Thema der Veränderung urbaner Räume war, das mich interessiert hat. Wobei „Interesse“ es nicht ganz ausdrückt. Es muss schon Leidenschaft dabei sein, in diesem Fall eine große Unzufriedenheit, ein Nicht-Einverstanden-Sein mit den Veränderungen, mit der „Liquidierung“, die seit vielen Jahren unsere Städte und Lebensräume bestimmt. Ohne dass da etwas neues Interessantes entstehen würde.
Auf diesen Aspekt der Konsumkritik möchte ich gleich noch einmal zurückkommen. Zunächst aber noch etwas mehr zur „technischen“ Seite der „Cubes“. Durch die Bildbearbeitung wird aus der „typisch flachen“ Fotografie ein scheinbar dreidimensionaler Raum. Die Fotografie wird zum „Material“, mit dem weitergearbeitet wird – was passiert mit den Aufnahmen, die Du in urbanen Räumen gemacht hast?
Das Technische ist nicht so entscheidend. Es geht nicht darum, die perfekte Illusion eines neuen Raumes zu schaffen, im Gegenteil: Es geht ja auch um Fehlstellen, die komischen Flecke und Spiegelungen. Die „Cubes“ wirken ja manchmal auch ein bisschen „verzogen“. Dreidimensional sollen sie allerdings wirken: Ich mag es, das Auge des Betrachters zu überraschen. Mir geht es immer darum, neue, neuartige Bilder zu kreieren. Das Finden einer ungesehenen Bildsprache ist für mich ein wirklich entscheidendes Qualitätsmerkmal von Kunst.
Warum arbeitest du mit Fotografie? Die Fotografie nicht als der „entscheidende Moment“ à la Bresson, sondern als Material – welche Möglichkeiten bietet sie?
Ich arbeite mit Fotografie, weil ich mich im Bereich der Bildenden Kunst schon immer am meisten für Fotografie interessiert habe. Das Wurzeln in der Realität ist mir wichtig. Zu sagen: Das habe ich an diesem Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt gesehen. Also ein bisschen schon „entscheidender Moment“. Doch gleichzeitig geht es mir in jedem Fall immer um Auflösung von Vorstellungen über Fotografie. Viele Betrachter fragen mich, gerade bei den „Cubes“, was das eigentlich sei. Es sind Wandobjekte, die aus Fotografien entstanden sind. Immer geht es mir darum, eine individuelle Bildsprache zu entwickeln.
Das Problem des „Ausverkaufs“ von Städten hast du schon angeschnitten. Es kommt im Untertitel der Serie komprimiert zum Ausdruck: „Liquidacion Total“ – was bedeutet das?
Der Untertitel bezieht sich zum einem auf die Auflösung, die Auslöschung von Architektur, die in Leerständen sichtbar wird. Die meisten Bilder der Serie dokumentieren solche aufgegebenen Geschäfte – verlassene Orte, Unorte. Die Veränderung unserer Städte geschieht in immer kürzeren Abständen, wird immer rasanter – dieser Veränderung bin ich auf der Spur.
„Liquidacion Total“ bezieht sich aber auch auf das Auslöschen der Sprache – gerade bei den typografischen Motiven. Die Sprache hat hier oft ihren Sinn verloren – hat sich liquidiert, wurde zu „Kommunikationsschrott“, wie ein Freund einmal über die „Cubes“ gesagt hat. Ich werde im Herbst übrigens an einer interessanten Gruppenausstellung zum Thema Schrift und Wort in der Bildenden Kunst teilnehmen. Sie wird in Dornbirn in Österreich zu sehen sein (Link).
„Liquidacion Total“ ist auch ein Schriftzug, der auf einem der „Cubes“ zu sehen ist. Welche Rolle spielt die Sprache – etwa Werbeslogans oder typische Türaufschriften – in den „Cubes“? Es ergibt sich dadurch auch eine gewisse sprachliche Ironie – hast du das bewusst integriert?
Bewusst eigentlich nicht. Die Dinge begegnen mir zufällig – ich halte natürlich die Augen offen und laufe auch sehr lange durch Städte, um Motive zu finden, was nicht so leicht ist. Es stimmt, Sprache ist bei einigen der Bilder wichtig, bei anderen aber auch nicht. Es geht bei einigen „Cubes“ um Sprache, um Kommunikation, vor allem aber das Scheitern davon. Wie bei „Tirez”: Man sollte den Türgriff ziehen. „Poussez“: Man sollte drücken. Doch meine Arbeiten führen diese Sprache ins Absurde. Gleichwohl erzählen sie von der Schönheit alter Schriften, alter Dinge, von der Schönheit fremder Sprachen – und überführen sie in eine neue Bildarchitektur. Manches, was wir in den „Cubes“ sehen, wird es bald nicht mehr geben – alte Türen, alte Schlösser. Manches ist schon abgerissen. Landet alles auf dem Schrott.
Welche Ziele verfolgst du mit deinen Arbeiten?
Mein Ziel ist es, eine außergewöhnliche, ungesehene Bildsprache zu schaffen – anhand von Themen, die mich berühren. Und ich möchte, dass der Betrachter vielleicht auch so einen Schritt macht: Genauer hinzusehen, wie die Welt heute ist – auch auf das, was wir jeden Tag verlieren.
Und zum Abschluss: Was ist deiner Meinung nach charakteristisch für deine Arbeit?
Ich bin sehr an „Rest-Schönheiten“ interessiert. Nicht in so einem putzigen Vintage-Sinn, wie in diesen ganzen neuen Lädchen mit Krimskrams. Die Bildende Kunst lebt aktuell großflächig durch Zitate, durch sehr ähnliche Konzepte, es wird alles ständig wiederholt – eine Folge von Kunsthochschule-Kunstmarkt-Mechanismen, die niemand wirklich in Frage stellt. So ist zwar unsere Zeit, aber ich finde diese ständigen Abhängigkeiten sehr fade. Ich will Bilder schaffen, die neu sind, packend, aber nicht nur auf einer visuellen Ebene: Sie sollen etwas von der Welt erzählen, in der wir leben. Sie sollen schön sein, uns aber gleichzeitig darauf aufmerksam machen, wie viel täglich verloren geht.
Marc, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit!
Gabriele Klemeprt
Apr 22. 2013
Ich musste immer wieder hinsehen, rätseln und grübeln über die Cubes. Im Nebenjob Hausfrau sind mir diese Art “Verpackungen” durchaus vertraut. Derart verpackt sind solche Cuben aber etwas ganz Neues.
Drücken, Ziehen, Öffnen – Oh je, hier sind Fragen angesagt. Heute ein Ding und Morgen vorbei…
Auch gute Dinge sind halt schrecklich vergänglich.
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Herzlichen Dank für das Interview…
Meike Gatermann
Jun 25. 2013
Super spannende Arbeiten. Die 3D-Irreführung steigert noch die Schönheiten der Schriften. Und herzlichen Dank für das gute Interview, habe es gerne gelesen.