„Eine gelungene Tiefgarageneinfahrt fasziniert mich mehr als die Hochglanzfassade eines preisgekrönten Architekten.“ INTERVIEW mit Ines Doleschal
Auf Reisen, in fremden Städten, abseits vom Gewohnten spürt sie Architekturen auf, die eine besondere Qualität haben. Charakteristisch sind. Den sie umgebenden Raum prägen. Gebäude, die auffallen, herausragen, anders sind, nicht gefällig und hübsch, sondern aus dem Einheitsbrei hervorstechen. Eben Charakter haben. Mehr Un-Ort sind denn Touristenattraktion.
Meist ohne Figurenpersonal erforscht Ines Doleschal in ihren architekturbezogenen Malereien Formen und Farben, insbesondere des modernen Bauens. Etwa in der Serie „Plotting the city“, für die sie mit einem Skizzenbuch tagebuchartig Eindrücke urbaner Un-Orte festhält. Diese werden später im Atelier frei interpretiert. Wichtig sind ihr vor allem das Zusammenspiel von gemalter und unbemalter Fläche, von Fläche und Raum, von Kanten, Grenzen und Binnenstrukturen. Diese Architekturinspirationen zeigen Detailansichten, die fast abstrakte Qualität entwickeln.
Im Interview mit deconarch.com verrät Ines Doleschal, wo und wie sie Inspirationen für ihre Architekturmalerei findet, warum sie gerade das Gebaute fasziniert und wieso die viel beschworene Kreativität völlig überbewertet wird.
all illus. (c) Ines Doleschal,
www.ines-doleschal.de
INTERVIEW
Du nennst deine Arbeiten selbst “architekturbezogene Malerei” – was interessiert dich an der Auseinandersetzung mit Architektur?
Architektur ist für mich etwas Existenzielles: Sie ist nicht durch ihre Funktionen geprägt – das klassische Dach über dem Kopf –, sondern vor allem auch Ausdruck von etwas. Als „visueller Mensch“ gehe ich durch eine Stadt und nehme mehr noch als Flüchtiges, andere Passanten etwa, das Dauerhafte wahr – die gebaute Substanz. Ob sie alt oder neu, glanzvoll oder diskret, mutig oder 0815 ist, ob hier jemand mit Geschmack und Geld oder mit Geld und Gier nach lukrativen Mieteinnahmen (also ohne Geschmack) gebaut hat, finde ich interessant.
Ganz abgesehen vom Historischen! Was erzählt ein Gebäude aus einer Zeit? Warum baute man in den 1960er Jahren Betonklötze von monströsen Ausmaßen und heute wieder niedliche Stadthäuser mit Spitzgiebel und Erkerchen? Warum ist die Sehnsucht so groß nach steinernen Schlosskulissen (die Grundsteinlegung des Berliner Stadtschlosses war ja gerade!), hinter denen uns Hochleistungsaufzüge in die oberen Etagen befördern? Warum wagt Architektur so wenig, warum ist sie heute so wenig inspiriert?
All dem gilt mein Interesse. Zeichnen allerdings kann und will ich nur Ausgewähltes: Das, was angenehm unangenehm herausragt aus dem Einheitsbrei. Absonderliches, Abseitiges, auch Misslungenes oder bereits wieder Verblasstes. Eine gelungene Tiefgarageneinfahrt fasziniert mich mehr als die Hochglanzfassade eines preisgekrönten Architekten.
Seit dem Ende deines Kunststudiums beschäftigt dich das Raum-Figur-Thema. Mittlerweile sind deine Arbeiten immer ohne Figurenpersonal – warum?
Angefangen habe ich zunächst ganz baconesk mit Menschen vor wandartigen Hintergründen. Aus den Wandstücken wurden schließlich Räume und aus den Innenräumen Detailansichten von außen. Ein ganzes Gebäude male ich nie – schon gar nicht erkennbar. Diese Innen-Außenraum-Malerei ist sich selbst genug geworden: Ich finde nicht, dass sie bevölkert werden muss, ja, ich strebe eine „Versachlichung“ an ohne ein narratives Element. Sobald eine Figur auftaucht, entstehen Geschichten, spielen Emotionen, vielleicht im negativen Sinne auch Pathos. Das möchte ich vermeiden, weil ich Form und Farbe zu wichtig finde, um sie mit „irrationalem“ Beiwerk zu überlagern. Dennoch tauchen immer mal wieder Menschen in meinen Bildern auf. Sie sind meist frei erfunden. Es macht mir Spaß, sie zu malen und sie in einen Bezug zur Architektur zu bringen. Wichtig ist dann aber, dass sie nicht Hauptakteur werden und diese Rolle der Architektur überlassen.
Etwa deine Serie von Zeichnungen, „Plotting the City“ …
Die Serie „Plotting the City“ erarbeite ich seit 2010, immer wieder kommt ein Blatt dazu. Es ist ein Städtereisetagebuch in Bildform. Die kleinen Blätter zeigen Ausschnitte von Architekturen, die ich vor Ort gezeichnet und später in Acryl umgesetzt habe. Da viel Beton dabei ist, sind die Blätter farblich eher zurückhaltend und rangieren zwischen Blassgelb und Indigo – Farbe muss immer sein, auch wenn das Original eigentlich grau ist.
Anders die Serie „ganz woanders“. Da habe ich einmal – ganz untypisch – warme Farben benutzt und eher runde, amorphe, vegetabile Strukturen entwickelt, die nur ansatzweise noch an eine Behausung erinnern. Dort tauchen auch Figuren auf, die das Bizarre der „Architekturen“ durch ihre prosaische Gegenwärtigkeit unterstreichen. Diese beiden Serien sind sehr gegensätzlich. Fantasie kontra Realität! Ich mag dieses bauliche Fantasieren sehr, genauso wie ich Architekten bewundere, die der Utopie den Vorrang vor Machbarem geben. Manchmal entsteht so ein Gebäude ja doch und ist ganz und gar Bereicherung!
Wie findest du diese Motive für deine Arbeiten?
Wenn ich eine Stadt bereise, informiere ich mich vorher über die Architektur der Nachkriegszeit bis heute. Gibt es dort ein Gebäude, das mich interessiert – wie beispielsweise in Wien das kapriziöse Wohnensemble von Zaha Hadid am Donaukanal –, suche ich es auf, um dort zu zeichnen. Seltener gehe ich auf’s Geratewohl durch eine Stadt. In Frankfurt/Main habe ich lange suchen müssen, um im Zentrum etwas Passendes zu finden. In London liegen die Motive dafür direkt am Themseufer: sperrig und brutal die in Beton gegossene Kulturmeile der Stadt…
Diese Arbeiten haben etwas fast Abstraktes. Gibt es Vorbilder und Inspirationen?
Vorbilder für diese Serie? Mir fallen keine ein! Nein, es gibt keine direkten Vorbilder dafür! Wenn man mich nach Vorbildern aus der Kunstgeschichte fragt, dann nenne ich Lieblingskünstler wie Nolde und Schiele, Friedrich und Menzel etc. – da gibt es keine Berührungspunkte zu meiner Malerei. Anders vielleicht die Bauhaus-„Bewegung“: Ich fühle mich dem Gesamtkonzept sehr nahe. Der Wille zur guten Form, die Suche nach klaren Strukturen, der Prozess des „Reinigens“ von künstlerischem Schwulst, das Weniger ist Mehr – das sind für mich mehr als künstlerische Aspekte. Ich versuche, sie in meinen Alltag zu integrieren, danach zu leben! Überhaupt ist „Reduktion“ für mich wichtig. Auf ein „Zuviel“ reagiere ich allergisch.
Du zeichnest „en plein air“ vor Ort, aber erarbeitest gerade die Malereien im Atelier. Wie ist dein Arbeitsprozess?
Meist zeichne ich vor Ort und verwende diese Vorlagen dann für meine serielle Malerei; seltener erfinde ich meine Formen einfach selbst, etwa in den Serien „DEKonstruktion“ und „ganz woanders“, oder benutze auch mal ein gefundenes Fotos aus einem Bildband. Letzteres ist nicht optimal für meinen Arbeitsprozess, lässt sich aber aus verschiedenen Gründen nicht anders einrichten – eine Reise nach Kasachstan zum Beispiel, wo wundervolle spätsowjetische Architekturextravaganzen ihrem Verfall entgegenschlummern, ist einfach nicht finanzierbar.
Arbeitest du ausschließlich mit Stift und Pinsel?
Ganz neu sind Experimente mit MDF, Karton und Farbe, also dreidimensionale Wandobjekte. Typischerweise arbeite ich aber mit Acryl auf Papier oder Nessel. Ich bin doch durch und durch Malerin!
Das, was ich skulptural schaffen würde, hat Barry Le Va vor einem Jahrzehnt längst gemacht…
Es ist schon fast die „Gretchenfrage“, aber: Warum Kunst? Welche Möglichkeiten bietet dir die künstlerische Arbeit?
Fantasieren können und dabei eine gute Form finden, eine Struktur oder Farbigkeit sensibel bearbeiten können. Ein Bild von etwas machen, das es so nicht gibt, das etwas bündelt. Sehnsucht ist dabei, Formkraft, Disziplin, Ordnung – aber immer auch etwas Flüssiges und sei es nur eine perspektivisch fluchtende Linie oder die spannungsreiche Nachbarschaft von Zinnober und Rosa. Kunst hat für mich viel mit Form zu tun – der guten Form. Ich vermisse sie im „richtigen“ Leben oft – nicht nur visuell. Formlosigkeit und Chaos, die viel beschworenen Kräfte der Kreativität – völlig überbewertet!
Was ist deiner Meinung nach charakteristisch für deine Arbeit?
Ich denke, dass ich gut mit Farbe umgehen kann und inzwischen auch mehr Virtuosität im Umgang mit Flächen und Strukturen entwickelt habe: eine große Fläche gut zu malen ist nicht einfach – sie soll ja nicht plakativ wirken! Typisch waren viele Jahre meine flächenhaften und gleichzeitig perspektivischen Raumbilder in kühlen Farbtönen. Inzwischen male ich eher kleinformatig, sehr gerne auf Papier, und immer in Serien zu einem bestimmten Thema, nach einem Konzept.
Das „Abarbeiten“ eines Themas innerhalb einer Serie ist für mich sehr wichtig geworden. Es mag für andere einengend sein, auf immer gleiches Papierformat in einer ähnlichen Farbgebung zu malen; mir gibt das eher Halt. Dass die Blätter dann doch sehr vielfältig werden, liegt auch an der Zeitdauer, über die eine solche Serie entsteht, an den dafür nötigen Reisen und Befindlichkeiten. Das letzte Blatt der Serie „Plotting the City“ (No. 22) ist nach meiner Reise nach Kopenhagen 2012 entstanden und zeigt den dortigen Opernbau. Das erste Blatt (Porsche-Museum bei Stuttgart) habe ich bereits 2009 gemalt. Da liegt eine für mich sehr bewegte, schwierige Zeit dazwischen.
Seit 2011 bin ich freier geworden mit Palette und Formen, lasse auch Buntheit zu und runde, weiche Formen. Dies auch dank einer intensiven Beschäftigung mit der Arbeit der Werkstatt für Wandmalerei am Bauhaus Dessau.
Zu Dessau hast du eine besondere Beziehung …
Dessau ist irgendwie bedauernswert und gleichzeitig anziehend. Es gibt dort ein einzigartig dichtes Nebeneinander von Bauhaus und neusachlicher Architektur, NS-Wohnblocks und allen Schattierungen sozialistischen Bauens, schließlich auch kriminell Schlechtes der Nachwendejahre und dazwischen vor allem Leere, Brache, Undeterminiertes. Eine Stadt voller Löcher und Raum, der keiner ist – eine schrumpfende Stadt zwischen Utopie und Niedergang! Wie ein Leuchtturm ragt da das Bauhaus, die Meisterhäuser, das Konsumgebäude in Törten, das Stahlhaus etc. heraus – für mich seit vielen Jahren Juwelen der internationalen Architekturgeschichte – auch wenn ich sie nie skizziert und als Vorlage verwendet habe. Ich finde sie hochinspirierend! Ich bin selten so enthusiastisch wie in der Betrachtung dieser schlichten, zukunftsweisenden, durchdachten Architektur. Für meine Malerei ist sie allerdings zu perfekt! Deshalb habe ich ein anderes Thema gefunden: die Farben des Bauhauses. Mitnichten sind das nur die Primärfarben plus Schwarz, Weiß und Grau!
Liebe Ines, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit!