„Durch den Raum dazwischen kann etwas entstehen, durch den Abstand, die Leere.“ INTERVIEW mit Jutta Steudle
Was bedeutet Wohnen? Sich Heimisch Fühlen? Das Zuhause? Sich wohlfühlen? Es sind Empfindungen und Assoziationen, die in Juttas Steudles Werk im Vordergrund stehen. In diesem Sinne arrangiert sie etwa in ihrer Rauminstallation Durch den Eingang raus, die vor Kurzem in der Ausstellung (in)habitanCITY im Böblinger Kunstverein zu sehen war, mehrere Objekte zu einem Ensemble, das zum Synonym für Wohnraum wird. Welche Assoziationen, Gefühle, Eindrücke kann dieser in uns wecken? Steudle nimmt dabei gleichsam eine Innenperspektive ein, die sie auf die vielschichtigen Facetten des Wohnens richtet.
Die meist sehr reduzierte Installationen und Objekte der Mannheimer Künstlerin arbeiten stets mit Blick auf den Raum. Durch minimale Eingriffe verändern ihre Objekte die Wirkung der Räume, in denen sie sich befinden. Es entstehen Wechselwirkungen, die die Raumwahrnehmung des Betrachters unterschwellig verändern.
Dabei arbeitet sie mit „flachen“ Materialien wie Papier und Kunststoff, die in ihren Materialeigenschaften hinterfragt und – entgegen ihrer vermeintlich vertrauten Natur – zu dreidimensionalen Objekten werden. Wie strapazierfähig ist etwa Papier? Wie wirkt es in verschiedenen Zustandsformen?
Im Interview deconarch.com beschreibt Jutta Steudle ihren Arbeitsprozess, welche Inspirationen ihr Werk beeinflussen und wie sich ein flaches Papier in ein dreidimensionales Objekt verwandelt.
all illus. (c) Jutta Steudle, www.juttasteudle.de
INTERVIEW
Für die Arbeit Durch den Eingang raus, die vor Kurzem im Böblinger Kunstverein zu sehen war, hast du Objekte entwickelt und dich mit dem Thema „Wohnen“, dem „sich heimisch fühlen“ auseinandergesetzt …
Wie oft in meiner Arbeit steht auch in dieser Arbeit das Empfinden im Vordergrund. Was bedeutet „sich heimisch fühlen“, „sich wohl fühlen“? Wo ist man zu Hause und mit welchen Gefühlen ist das verbunden?
In einer Nische steht eine Papierarbeit auf dem Boden. Dieses Gebilde könnte als Synonym für Wohnraum stehen. Es ist keine klare Form, sondern eine Form, die viel Raum für Gedankenspiele lässt. Sie ist teilweise durchbrochen, hat Knickungen und Risse. Durch den Farbton – ein angenehmes, aber kühles Blau – hat diese Form eine ganz besondere Ausstrahlung. Ihr gegenüber an der Wand hängt ein Objekt, welches Bezug zu der auf dem Boden stehenden Arbeit nimmt. Die Raumnische wird beherrscht von Form und Farbe.
Das Blau regt unterschiedliche Assoziationen an, es weckt verschiedene Impulse: Es ist ein klares Blau, hat etwas Wolkiges, Kuscheliges, direkt zum Hineintauchen. Es ist aber auch ein kühles Blau und kann in Verbindung mit den Rissen und Kanten gänzlich andere Gefühle hervorrufen.
Du arbeitest installativ im Raum und verwendest dabei Materialien wie Papier oder Kunststoff, deren Charakter eigentlich zweidimensional ist. Wie kann dieses „flache“ Material räumlich-skulptural werden?
Meine Arbeiten bewegen sich vor allem im dreidimensionalen Bereich, auch wenn dies den Arbeiten nicht immer gleich zuzuordnen ist. Oft entstehen Anordnungen aus mehreren Elementen, die zu sich und zum Raum in Beziehung stehen. Es entstehen Wechselwirkungen. Schließlich befindet sich auch unsere Realität im dreidimensionalen Bereich. Ich begreife mich nur in Beziehung zu mir und zum Raum. Die Faltungen der Papierarbeiten etwa machen aus zweidimensionalem Papier ein dreidimensionales Gebilde. Selbst eine minimale Wölbung nimmt Bezug zum Raum.
Welche Rolle spielt dabei der Raum, die Auseinandersetzung mit dem Raum?
Der Raum spielt eine wichtige Rolle, denn nur im Raum kann etwas entstehen. Zwar reagiere ich nicht direkt auf den umgebenden Raum, dennoch nimmt meine Arbeit stets Bezug zu ihm. Zum Beispiel die Arbeit zwischenzeitlich vollkommen, die aus zwei Elementen besteht, die auf einem Podest angeordnet sind: Zwischen den beiden Elementen entsteht etwas. Dieses Etwas kann durch den Raum dazwischen entstehen, durch den Abstand, die Leere, also den Raum.
Wie ist dein Arbeitsprozess?
Der Arbeitsprozess ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit und fließt als solcher oft in die Arbeit mit ein. Bei den Papierarbeiten bestimme ich schon im Voraus Größe des Papiers, Farbton und Art des Eingriffs – Knicken, Knüllen, Falten, sanfter oder starker Eingriff in das Material. Ich lege fest, wie die Arbeit aussehen, welchen „Charakter“ sie haben soll.
Nachdem Art und Größe des Papiers entschieden sind, wird es mit relativ wässriger Farbe bestrichen, um es bei einem bestimmten Trocknungsgrad zu bearbeiten. Durch die Farbe bleibt das Papier in seiner gewünschten Form. Dies ist ein Prozess, der bewusst vollzogen wird. Immer bleibt jedoch ein Teil offen, ist Zufall, denn Faltungen können nur bis zu einem gewissen Grad beeinflusst werden. Das Papier wird solange bearbeitet, bis es den optimalen Zustand erreicht.
Manchmal werden auch Folienstücke mit eingearbeitet, die zuvor als Untergrund dienten. An den Folien sind Farbreste zu sehen, die während des Bestreichens der Papiere entstanden sind. Der Arbeitsprozess taucht somit als Teil der Arbeit wieder auf.
Die Arbeit vertrautes Terrain ist eine auf dem Boden liegende Papierarbeit. Sie besteht aus Packpapier, das ich mit weißer Farbe bestrichen habe. An einer Stelle habe ich Plastikfolie mit eingearbeitet. Die Folie deutet Prozesshaftigkeit an. Farbspuren sind auf der Folie zu sehen, sie deuten auf eine schon vorangegangene Arbeit hin. Vorangegangenes Handeln wird sichtbar. Die rosa Farbspuren bringen einen malerischen Akt in die Arbeit mit ein. Neben der Prozesshaftigkeit spielt auch die Kombination unterschiedlicher Materialien immer eine wichtige Rolle.
Welche Ziele verfolgst du mit deiner Arbeit?
Es geht um das Ausloten des jeweiligen Materials. Wie strapazierfähig ist zum Bespiel Papier? Wie wirkt es in verschiedenen Zustandsformen? Wird das Papier mit einem bestimmten Farbton bestrichen, inwieweit ändert sich die Wirkung?
Es geht nicht vorrangig um das Papier als Material, sondern um die charakteristischen Eigenschaften, die Papier aufweist: Papier ist auf der einen Seite ein sehr dünnes, leicht zerreißbares Material, auf der anderen Seite ist es stark beanspruchbar.
In meinen Arbeiten versuche ich, diese verschiedenen Materialitäten zu ergründen. Das Knittern bzw. Knüllen etwa ist ein dem Papier nicht gerechter Vorgang. Wie verhält sich Papier in den verschiedensten Verformungen? In wie weit sind Faltungen haltbar? Wie verträgt das jeweilige Material den Eingriff und wie wirkt dies auf den Betrachter?
Die Farbe hingegen war zunächst vorrangig Mittel zum Zweck, sie diente als Hilfsmittel, um das Papier bearbeiten zu können.
Durch das Verwenden von verschiedenen Farbnuancen entstehen unterschiedliche Wirkungen. Dadurch werden verschiedene Gefühlsregungen angestoßen. Ob man will oder nicht, beginnt die Farbe, die Art des Farbauftrages Einfluss auf die Form zu nehmen. Dies beziehe ich immer bewusster in meine Arbeit mit ein.
Wie findest du die Themen, die Fragestellungen, die Formen, mit denen du dich beschäftigst?
Das ist sehr unterschiedlich. Oft stoße ich bei der Arbeit an eine Grenze oder auf ein Problem, welches ich später wieder aufgreife und weiter vertiefe. Oft kommt es auch vor, dass ich im Alltag Dinge entdecke, die mich anregen, reizen, ob ihrer Materialität oder Aussehens. Unsere Umwelt ist voll von ästhetischen Dingen und Widersprüchen. Das interessiert mich. Es gibt gerade auf Baustellen so viele unterschiedliche Materialien und Farben. Wenn man sich nur mal anschaut, wie viele verschiedenfarbige Mülltüten es gibt – in den schönsten Farben. Diese Eindrücke fließen in meine Arbeit mit ein. All diese Dinge lösen Empfindungen in uns aus – das versuche ich aufzugreifen.
In der Arbeit vertrautes Terrain etwa, die wie achtlos hingeworfenes Papier auf dem Boden liegt. Sie könnte an verschiedenen Stellen liegen, auf einer Baustelle, im Supermarkt bei der Kartonage… Erst bei genauem Betrachten der Form entdeckt man ihr Eigenleben. Durch all die Wölbungen, Knickungen, Faltungen entsteht eine unglaubliche Landschaft von Licht und Schatten.
Auch die Farbtöne, die ich verwende, entnehme ich oft alltäglichen Gegenständen, so finde ich zum Beispiel bestimmte Autofarben sehr ansprechend. Sehe ich ein Auto, das in einem bestimmten Farbton lackiert ist, ruft dieser sofort bestimmte Assoziationen in mir aus. Diese versuche ich dann in meine Arbeit zu übertragen und weiter zu vertiefen.
Es ist wohl die „Gretchenfrage“ der Kunst, aber: Warum Kunst? Welche Möglichkeiten bietet dir die künstlerische Arbeit?
Kunst machen zu können bedeutet Freiheit. Die Freiheit, seine Realität nonverbal formulieren und darlegen zu können. Das direkte, unmittelbare Erleben im künstlerischen Prozess ist Freiheit. Innere Vorgänge können sichtbar gemacht werden.
Durch die Arbeit bekommt man einen neuen Blick auf die Dinge und sich selbst.
Es ist ein immer wiederkehrendes Ausprobieren und Neu-Formulieren seiner Welt, seiner inneren Welt. Ganz grundlegende Probleme können in ein Bild transformiert werden. Gedankengänge können sichtbar gemacht werden.
Liebe Jutta, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit!