“Die Fundstücke öffnen den Raum auf andere Weise.” reloaded: INTERVIEW mit Kai Richter
Zeit für einen Blick zurück: Im August 2013 ging das erste Interview mit dem Düsseldorfer Bildhauer Kai Richter online. Nun haben wir nachgefragt, wie der aktuelle Stand seiner Arbeit ist, was hat sich verändert? Welche Entwicklungen haben sich getan?
Während Richter früher mit typischen „Baumaterialien“ wie Doka-Trägern oder Gerüstelementen gearbeitet hat, sind die neuen Arbeiten reine „Fundstücke“, die er nicht mehr weiter bearbeitet, sondern im Raum arrangiert – etwa Beton-Bohrkerne, die wie Stelen inszeniert sind. WAs hat es damit auf sich? Welche Fragen beschäftigen ihn heute? deconarch.com hat nachgefragt.
Einblicke in die aktuelle Ausstellung
all illustr. (c) Kai Richter
INTERVIEW
Kai, in unserem letzten Interview 2013 haben wir darüber gesprochen, dass du vor allem mit typischen „Baumaterialien“ wie Doka-Trägern oder Gerüstelementen arbeitest. Der bauliche Aspekte forderte dich damals heraus, denn Baumaterialien eigenen sich, ganz banal gesagt, gut zum Bauen: Sie haben konstruktives Potenzial, im Prozess entsteht etwas. Deine neuen Arbeiten sind „Fundstücke“, die du nicht mehr weiter bearbeitest – etwa die Beton-Bohrkerne, die wie Stelen inszeniert sind. Was hat es damit auf sich?
Im Grunde sind meine Themen dieselben geblieben, nur die Methoden nicht. Dies ergab sich möglicherweise zufällig! Einmal fuhr ich wie gewohnt ins Atelier. Dabei sah ich, wie Handwerker Betonringe schnitten. Sie warfen die nicht zu gebrauchenden Ringe in den Container. Sie zerbrachen in viele Teile. Ich hielt an und versicherte den Handwerkern: Ich komme später mit dem richtigen Fahrzeug und hole die Ringe!
Im Atelier konnte ich zunächst nicht viel mit den Ringen anfangen. Es hat länger gedauert, bis ich die einfachste Lösung fand: Die Ringe einfach gegeneinander zu stellen und ein Volumen zu öffnen. Die Konstruktion ist natürlich sehr fragil und berührungsempfindlich. Auch dadurch ändert sich der Raum.
In San Vito habe ich vier historische Backsteine geschenkt bekommen. Auch diese standen sehr lange in meiner Werkstatt. Sie mussten Kontakt zu anderen Fundstücken aufbauen. Das hat mein Denken stark verändert. Es hilft mir auch, mich als Bildhauer einzugrenzen. Ich versuche der Kunst aus dem Weg zu gehen, um sie nicht mehr so stark durch mich zu beeinflussen.
In der Kölner Galerie Christian Lethert zeigst du gerade eine Ausstellung mit Fundstücken …
Die Fundstücke, gerade in Köln zu sehen, gehen mit Zeit um. Zeit, erlebte Zeit, war immer ein wichtiger Faktor für mich. Baumaterialien, gebraucht, schon in Benutzung gewesen, bekommen eine Patina. Die Patina erzählt die Geschichte der jeweiligen Teile. Was hat mir die Welt zu bieten? Was kann ich an ihr denken? Wie offen bin ich? Und welche Fragen stellen sie künstlerisch und wie reagieren sie aufeinander?
Wie entscheidest du, welche Fundstücke zum Werk werden?
Mein Blick hat sich verändert. Ich suche nicht, schaue aber viel. 99,9% der Fundstücke sind völlig unbrauchbar. Es geht darum, die Dinge zu erkennen. Und dann einen Umgang damit zu finden. Die Entscheidung, ob ein Fundstück zur Arbeit wird, kann länger dauern. Sie hängt davon ab, was die Fundstücke erzählen können, ob sie mich vor Fragen stellen.
Wie gehen sie mit dem Raum um? Wie erweitern sie meine Möglichkeiten, mit dem Raum umzugehen? Sie bringen mich dazu mein Denken zu erweitern, dem Raum anders zu begegnen? Lösungen zu finden, Lösungen, die ich vor dem Raum nicht denken konnte.
Jeder Raum ist eine Herausforderung für mich!
Schon in unserem ersten Gespräch sprachen wir darüber, wie dich besonders der Entstehungsprozess von Bauten interessiert, also gewissermaßen das Dynamische in der Architektur, die ja, wenn sie dann fertig ist, mehr oder weniger statisch ist und sich nicht mehr wirklich verändert?
Eine Skulptur im Raum, einmal aufgebaut, behauptet sich ja nicht durch ständiges Umbauen. Für die Zeit der Ausstellung bleibt sie eine Behauptung, festgefügt. Genau wie bei fertiger Architektur. Mich interessieren nach wie vor die Raumfragen in Bezug auf die Möglichkeiten der Skulptur.
Warum „baust“ du? Oder anders gefragt: Warum Skulptur?
Warum baue ich? Das Physische beim „Bauen“ ist wichtig – meine Körpergröße, komme ich an bestimmte Stellen oder ist mein Arm doch zu kurz? Ist das Material zu schwer, um es an den vorgesehen Ort zu platzieren? Hält das überhaupt? Das direkt Emotionale spielt eine wesentliche Rolle.
Ich gehe mit einem genau durchdachten Plan in Räume. Positiv ist es, wenn ich Lösungen finde, die ich beim Planen noch nicht denken konnte. Die Fundstücke öffnen den Raum auf andere Weise. Die Raumlösungen werden dabei breiter. So kann ich den Raum anders begegnen.
Zur Skulptur bin ich über die Beschäftigung mit Kunst gekommen, ich glaube, „Entwicklung“ ist ein guter Begriff dafür. Vor allem ist es immer Neugierde, die mich motiviert. Raumfragen. Darüber hinaus kann ich durch die skulpturale Arbeit visuell denken, das heißt zu Lösungen kommen, die ich vorher nicht denken konnte. Ein Wechselspiel zwischen dem Denken und der praktischen Arbeit.
Kai, herzlichen Dank für den neuen Einblick in deine Arbeit!