„Architektur ist für mich eine faszinierende Disziplin und Ordnung, Kunst hingegen bedeutet für mich Freiheit der Fantasie.“ INTERVIEW mit Svetlana Dineva

Filigrane Bauten schrauben sich in die Höhe. Dicht gedrängte Siedlungen scheinen fast aus dem sie umrahmenden Bildrand hinaus zu quellen. Verwinkelte Fülle, überbordende Details, Piranesis Carceri klingen ebenso an oder Eschers verwirrende Innenräume.

Svetlana Dineva, Sprache, Tusche, 2013

Svetlana Dineva, Sprache, Tusche, 2013

Svetlana Dinevas faszinierende Zeichnungen sind sehr persönliche Reaktionen auf ihre Umgebung. Sie entstehen aus der Begegnung der russischen Architektin und Künstlerin mit Stadt und Architektur. Sie erzählen Geschichten, von Raum und Raumerfahrung, von Städten, Bauten, Architektur, von Russland und Deutschland.

Die Künstlerin hat in Russland zunächst Kunst und Architektur studiert, ehe sie nach Deutschland gekommen ist, um ihr Architekturstudium am KIT Karlsruhe fortzusetzen.  Sie arbeitet vor allem in schwarzweißer Grafik, meist mit Tusche.

Im Interview mit deconarch.com gibt Svetlana Dineva einen sehr persönlichen Einblick in die Geschichten hinter ihren Bildern und verrät den Unterschied zwischen russischen und deutschen Städten.

all illus. (c) Svetlana Dineva

 

INTERVIEW

Aktuell arbeiten Sie an einer Reihe von Grafiken von Stadtutopien. Verraten Sie uns etwas dazu?

Mein erstes Bild von Stadtutopien entstand 2002 in Karlsruhe, damals kam ich nach Deutschland. Das Bild spiegelt mein Ankommen und die Integration in einem fremden Land. Als ich mit meinem Architekturstudium in Russland fertig war, reiste ich quer durch Europa. Von deutschen Städte habe ich mich besonders inspirieren lassen. Ich lernte der Charaktere der Städte, Stadträumlichkeiten und eine neue Kultur kennen. Meine Gefühle, Gedanken und Idee brachte in grafische Form. Aus meiner Perspektive schaue ich mit meinen Augen auf die Stadt, um zu verstehen, wie der ganze Raum funktioniert. Jedes Bild ist ein neues und ein wichtiges Lebens-Kapitel. Die Geschichte zu meinem Bild ist mir sehr wichtig. Alles hat seine Bedeutung und seine Geschichte.

Können Sie uns das an einem Bildbeispiel näher beschreiben?

(c) S. Dineva - Einsamkeit

Svetlana Dineva, Einsamkeit (Fliegende Pflanze), 2002

Das Bild „Einsamkeit (Fliegende Pflanze)“ etwa entstand in meiner ersten Zeit in Deutschland. Ich war sehr neugierig auf das neue Land, die neue Kultur, darauf neue Menschen kennenzulernen. Plötzlich war ich „allein auf der Welt” und um mich herum  waren neue Städte, neue Straßen, neue Häuser, neue Menschen. So etwas zu erleben ist großartig und einmalig.

In der Mitte des Bildes platziert sich das Hauptobjekt, ein Haus. Das Haus wirkt sehr stabil. Auf der Spitze des Hauses sitze ich und beobachte aus der Vogelperspektive und entdecke die Stadt – die Welt von oben. Bleibe ich ein Beobachter oder tauche ich in neues Leben ein?

Das Haus hat viele Öffnungen (Fenster und Türen) – Möglichkeit und Chancen. Die Möglichkeit, aus dem Fenster zu schauen oder durch die Tür hinauszugehen. Man kann die Türen und die Fenster aber auch schließen. Welche Chancen oder Möglichkeiten ich wähle, muss ich selbst entscheiden.

Die Linienführung des Bildes ist auffällig. Es gibt ruhige und unruhige Flächen. Ruhig wirken der Himmel und die Stadt, unruhig wirkt dagegen das Haus, durch seine Öffnungen und durch das Licht- und Schattenspiel. Das Gebäude „wächst” aus der Erde und auf beiden Seiten hat es „zwei Flügel”.

Die „Fliegende Pflanze” kann immer weiter wachsen und noch mehr Fenster und Türen ins neue (neue Chancen, neue Möglichkeiten) aufmachen….

(c) S. Dineva - Feuerwerk

Svetlana Dineva, Feuerwerk (Gedankenexplosion), 2002

Das Bild „Feuerwerk (Gedankenexplosion)“ entstand in Russland, als ich dort Architektur studierte. In der Mitte des Bildes sind zwei Treppen abgebildet: zwei Wege. Was tun und welchen Weg nehmen? Für welchen soll man sich entscheiden?

Das ist eine Gedankenexplosion. Eine massive „Gebäudeexplosion” wirkt auf dem Bild wie ein Feuerwerk. Auf dem schwarzen Hintergrund springen die Häuser aus dem Bild heraus. Es ist eng. Liebe, Leben, Möglichkeiten, Chancen, Zukunft, Gegenwart, das alles schreit aus dem Bild. Die massive, bunte Architektur quält sich im Rahmen und trotzdem „wächst” sie weiter.

Diese beiden verschiedene konstruierte Welten – „Einsamkeit” und „Feuerwerk” – haben gleichzeitig viel gemeinsam.

Wie unterscheidet sich ein deutscher Stadtraum von einem russischen?

Ein deutscher Stadtraum – gut strukturiert, kompakt, moderne Entwicklungsstrategie, feine Verdichtung, Ordnung, Liebe zum Denkmalschutz, überschaubaren Flächen, Tradition und Ästhetik.

Ein russischer Stadtraum – riesige Dimensionen, bunt, breit, großzügig, emotional, romantisch.

Wie ist Ihr Arbeitsprozess: Gehen Sie konzeptionell vor oder finden Sie Ihre Motive spontan?

Svetlana Dineva, Explosion 2, 2014

Svetlana Dineva, Explosion 2, 2014

Jedes Bild beginnt in meinem Kopf und im Prozess entwickelt sich ein Dialog zwischen dem Bild und mir. Sehr wichtig für mich ist Komposition und Hauptmotiv, alles anderes entwickelt sich spontan. Mit dem Tuschestift habe ich sehr viel Kontrolle über die Linien, im Gegenteil zu meinem Motiv. Ich fühle mich frei, wenn mein Bild sich weiter spontan entwickelt. Ich arbeite sehr gerne an kleinen Details und entspanne mich richtig dabei.

Woher kommt dieses Interesse an Architektur, an Architekturformen?

Architekturform ist für mich konstruktive Mittel für die Schaffung eines Innenraums oder eines Außenraums. Mit Formen gestalte ich unterschiedliche räumliche Situationen. Architekturformen sind meine Zwischenräume, Räume. Architekturmotive sind meine Erlebnisse, Gedanken. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Fantasie und Realität, in dem ich mit Architekturformen und Architekturmotiven arbeite.

Sie haben zunächst in Russland Kunst studiert, dann zur Architektur gewechselt, ehe Sie am KIT Karlsruhe das Architekturstudium abschlossen. Wie beeinflussen sich beide Disziplinen gegenseitig?

Meine Interesse an der Kunst entwickelte sich in der Schule. Ab der fünften Klasse besuchte ich die Staatliche Kunstschule, danach studierte ich Malerei und Design an der Kunstakademie. Zunächst hatte ich vor, weiter Malerei zu studieren, ich entschied mich dann aber für Entwerfen und Konstruieren. Mein Architekturstudium in Russland war in der Hinsicht sehr  künstlerisch gestaltet. Damals in den 90ern haben wir mit Tusche und Gouache unsere Projekte und Stegreife entworfen. Grundvoraussetzung für das Architekturstudium waren auch Zeichnen und Malen.

Architektur ist für mich eine faszinierende Disziplin und Ordnung, Kunst hingegen bedeutet für mich Freiheit der Fantasie.

Beeinflusst umgekehrt auch die Malerei Ihre Architektur-Arbeit, das typische Konstruieren?

Svetlana Dineva, Fremdkörper im Auge (Baustelle-Rad) , Collage (Aquarell, Tusche, Fotografie), 2014

Svetlana Dineva, Fremdkörper im Auge (Baustelle-Rad) , Collage (Aquarell, Tusche, Fotografie), 2014

Ich denke schon, dass Malerei und Architektur sich gegenseitig beeinflussen, manchmal auch unterstützen. Es ist ein Wechselspiel – man taucht in der Architekturwelt des Konstruierens ein und setzt „malerische” Akzente. Genau so funktioniert es beim Malen.

In der Architekturarbeit ist für mich auch die Geschichte wichtig. Alle Projekte haben eine Geschichte. Die Geschichte fängt mit einem Blatt Papier und einem Bleistift …

Mit welchen Medien arbeiten Sie, warum?

Meine Bilder sind 100% handmade. Ich fertige alle meine Bilder mit der Hand an, ich finde es einfach lebendiger. Vielleicht klingt das altmodisch. Ich arbeite mit Bleistift, Tuschestift und Aquarell. Die wichtigsten Punke der Perspektive und Hauptobjekte werden zuerst mit Bleistift vorgezeichnet. Details zeichne ich mit dem Tuschestift.

Ich war ja auch schon neugierig und habe mit einem meiner Bilder in  Photoshop experimentiert. Das  Ergebnis war sehr interessant, weil es neue Perspektive öffnet, neue Dimensionen. Man fängt an, anders zu denken, geht neue Wege, sucht nach Ideen.

Ich nehme es als Entwicklung an. Alles, was neu ist, ist eine Entwicklung, ein Schritt in die Zukunft.

Gibt es Vorbilder, Inspirationen? Piranesi zum Beispiel, an den ich bei Ihren Bilder sofort denken musste?

Zum meinem Geburtstag bekam ich ein Buch mit Bildern von M. C. Escher. Diese Bilder kann ich jeden Tag stundenlang betrachten und mich dabei entspannen.

Aber auch: Schöne Aussichten! Mit dem Flugzeug über die Städte fliegen. Flugzeugbilder geben uns die Möglichkeit, die Welt von oben zu betrachten und ästhetisches Gefühl für Maßstab der Städte und der Staaten zu entwickeln.

Svetlana Dineva, herzlichen Dank für diese sehr persönlichen Einblicke in Ihre Arbeit!

One Response to “„Architektur ist für mich eine faszinierende Disziplin und Ordnung, Kunst hingegen bedeutet für mich Freiheit der Fantasie.“ INTERVIEW mit Svetlana Dineva”

  1. nik

    Feb. 15. 2015

    Super!

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