„KI finde ich für die Zukunft dann wichtig, wenn sie mit ‚künstlerischer Intelligenz‘ übersetzt wird.“ INTERVIEW mit Tobias Zaft
Im Juni haben wir als ARTitecture des Monats FlexiPolis von Tobias Zaft vorgestellt. Acrylglasobjekte wachsen hier zu einem transparenten „Hightech-Moloch“ zusammen, dessen Körper durch rhythmisierte Lichtimpulse zu virtuellem Leben erwacht. Eine komplexe Licht-Choreografie erzeugt eine besondere Aura in der Installation, die aus insgesamt 357 Acrylglas-Elementen, 156 LED-Platinen, 1560 LEDs und 10 Mini-Computern besteht. Die Hard- und Software wurde seit 2012 fortlaufend weiterentwickelt.
FlexiPolis, 2016, interaktive Lichtskulptur (modulares Stecksystem), Acrylglas, LED-Platinen WLAN-Modul, Stahl, 85 x 38 x 38 cm (inkl. Stahlsockel), 4 Editionen, Sammlung Karin Abt-Straubinger, Stuttgart (c) T. Zaft
FlexiPolis beschreibt das Phänomen Großstadt als lebensfeindliche Manipulationsmaschine, welche mit funkelnden Glücksversprechen den Rohstoff Mensch verführt und schließlich in einen Kreislauf aus Wachstum und Gier einspannt. Durch Smartphone-Interaktion stellt die Arbeit FlexiPolis zudem die Frage nach den Machtverhältnissen: ist es der Mensch, der die Stadt nach seinen Bedürfnissen formt, oder ist es die Stadt, welche die Menschen kontrolliert?
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Als evolutionäre Installation entwickelt sich FlexiPolis fortlaufend weiter und wächst. Die interaktiven Multiples können durch Zusatzmodule ergänzt werden und in die Höhe und Breite wachsen. So entstehen raumfüllende Utopien, die von den Ausstellungsbesuchern erkundet und per Smartphone-Interaktion beeinflusst werden können. Eine komplexe Arbeit, die auch zeitgenössische Themen und Technologien künstlerisch einsetzt.
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Wir haben bei Tobias Zaft nachgefragt. Im Interview mit deconarch.com erklärt uns der Künstler die Hintergründe von FlexiPolis, welche Themen ihn beschäftigen und welchen Eindruck die Erfahrung von “Hightech-Urbanität”, etwa in China, auf ihn gemacht hat.
Ab Dezember wird FlexiPolis im Kunstverein Villa Streccius in Landau in der Pfalz als Teil der Gruppenausstellung „Habitat – Lebensräume“ zu sehen sein (08.12.2018 bis zum 20.01.2019).
all illus. (c) Tobias Zaft
www.tobiaszaft.com
INTERVIEW
Wie ist FlexiPolis entstanden?
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Die Idee zu FlexiPolis entstand in Beijing, wo ich von 2007 bis 2013 durchgehend lebte und bis heute intensive Beziehungen pflege. Besonders fasziniert haben mich futuristisch anmutende Geschäftsviertel wie Guomao, in denen moderne Wolkenkratzer um die Wette in den Himmel wachsen. Wie eine Fata Morgana entfalten die im Sonnenlicht edel glänzenden Glastürme ihre Anziehungskraft und wecken bei den Menschen Sehnsüchte nach Wohlstand und Glück. Doch ein Blick hinter die Fassaden bringt meist schnell Ernüchterung, denn viele dieser Prestigearchitekturen entpuppen sich aus der Nähe betrachtet als reiner Kulissenbau. Die Innengestaltung ist entsprechend vorhersehbar. Neben den Läden international bekannter Marken in den unteren Etagen befinden sich darüber Büros. Schnell hat man vergessen, in welchem Wolkenkratzer man sich befindet, da alle nahezu identisch gestaltet sind. Jedes dieser gigantischen Gebäude ist ein eigener Kosmos, in dem tausende Menschen ihren Alltag abgeschirmt von der Außenwelt verbringen. Bei der Planung solcher Bauten wird die Natur lediglich als Risikofaktor in Form von Stürmen oder Erdbeben einkalkuliert. Das Welt- und Menschenbild, das einer derartigen Planung zugrunde liegt, interessiert mich.
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FlexiPolis
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Das klingt nicht nach „schöner neuer Welt“ …
Mit FlexiPolis wollte ich diese hermetischen Hochglanz-Welten mit ihrer Ambivalenz aus Faszination und Inhaltsleere veranschaulichen. Ich wollte der Frage auf den Grund gehen, welche Auswirkungen das Leben und Arbeiten in (und außerhalb) derartiger Prestige-Architekturen auf die menschliche Psyche hat. Für mich hat das sehr viel mit gesellschaftlicher Ab- und Ausgrenzung zu tun.
So habe ich mit FlexiPolis über mehrere Jahre einen komplexen Mikrokosmos erschaffen, der die Menschen durch diffizile Lichtanimationen und verführerisches Funkeln wie eine überdimensionale Insektenfalle anzieht. Doch aus der Nähe betrachtet lösen sich die Skulpturen in ein transparentes Nichts auf und der Betrachter ist auf sich selbst zurückgeworfen. Technologie macht gewissermaßen die menschliche Psyche sichtbar. Besonders der Aspekt des Fragilen interessiert mich daran.
Seit dem ersten FlexiPolis-Modell aus dem Jahr 2012 ist bis heute in enger Kooperation mit einem Team aus Elektroingenieuren und Informatikern der Fachhochschule Wedel ein modulares und interaktives Medienkunstwerk entstanden. Per Smartphone-Interaktion können die Betrachter das virtuelle Innenleben von FlexiPolis zwar beeinflussen, doch gleichzeitig erscheinen die Skulpturen in ihrer fragilen Ästhetik unnahbar.
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Wie ist Ihr Arbeitsprozess, gehen Sie konzeptionell vor oder „finden“ Sie Themen während des Arbeitens?
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Meine Arbeit beginnt mit Beobachtungen, die sich in meinem Kopf ansammeln und mit der Zeit zu einem Konzept verdichten. Einige dieser „Gedankenskulpturen“ bleiben dann über einen längeren Zeitraum so präsent, dass ich sie visualisieren möchte, um diese Neuentdeckungen mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Die Umsetzung ist ein schöpferischer Prozess, bei dem sich Schritt für Schritt die Form verselbstständigt und vom Konzept emanzipiert – es kommt daher vor, dass das anfängliche Konzept komplett verworfen wird und die Arbeit eine neue Form findet. Konzepte sind für mich also nur wichtig, um einen Anlass für Umsetzungen zu haben. Jedes Projekt ist für mich daher eine spannende Reise ins Ungewisse.
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FlexiPolis
Welche Themen beschäftigen Sie?
Mich reizt immer das Neue. Viele aktuelle Entwicklungen, zum Beispiel künstliche Intelligenz, finde ich äußerst spannend, aber oftmals unpassend eingesetzt. Daher langweilen mich die meisten daraus entwickelten Produkte – gleichzeitig fasziniert mich das Konsumverhalten vieler Menschen. Mich interessiert, weshalb Menschen plötzlich Bedürfnisse entwickeln, die sie vorher nicht hatten. KI finde ich für die Zukunft dann wichtig, wenn sie mit „künstlerischer Intelligenz“ übersetzt wird. Da Kunst keiner Funktion im Sinne einer praktischen Anwendung unterliegt, ist sie frei und besitzt ein höheres Innovationspotenzial als Produkte. Künstler sind hier meiner Meinung nach die wichtigsten Impulsgeber für die Zukunft. Denn die Kunst setzt sich mit neuen Technologien oft intensiver und ganzheitlicher auseinander als die Industrie. Die Kunst betrachtet den Menschen ganzheitlich und langfristig – die Industrie hingegen sieht den Menschen als Konsumenten mit kurzfristigen Bedürfnissen. Aus meiner Sicht sind Kunstwerke daher zukunftsfähiger als Produkte.
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Spielt die KI in anderen Arbeiten von Ihnen eine Rolle?
KI übersetze ich wie gerade beschrieben mit „künstlerischer Intelligenz“. Ein intelligentes Kunstwerk ermöglicht dem Betrachter eine neue Erfahrung. Es bildet also nicht die Realität ab, sondern öffnet neue Erkenntnisebenen. Ein derartiges Kunstwerk ist ganz nah am Puls der Zeit und vielleicht sogar schon einen Schritt in der Zukunft. Neben FlexiPolis wäre ein anderes Werkbeispiel eine Arbeit mit dem Titel BureauCrazy.
BureauCrazy, kinetische Rauminstallation, LED-Röhren, Faxpapier, Aktenvernichter, Büromöbel, ca. 350 x 500 x 300 cm, NordArt, Rendsburg 2014
Hier habe ich eine kinetische Rauminstallation geschaffen, in der sich eine hängende Konstruktion aus Aktenvernichtern in einem Büro verselbstständigt. Alle drei Minuten arbeiteten sich die Schredder wenige Zentimeter in dem Vorrat aus Endlospapier voran, sodass der Büroraum nach vier Wochen zu einem Dschungel aus geschreddertem Endlospapier mutierte. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit den Dingen können derartige „Systemstörungen“ oder „Mutationen“ entstehen, die alle Karten neu mischen und eine Gesellschaft langfristig verändern können. Ein weiteres Beispiel wäre die interaktive Installation „Fragile“, ein modifizierter Snack-Automat, der nach Bezahlung Gläser auswirft, die vor den Augen des Käufers beim Herabfallen zerbrechen.
Die eingesetzten Mittel und Materialen in der Kunst sind nahezu unbegrenzt und wachsen fortlaufend mit dem technischen Fortschritt. Mit „künstlerischer Intelligenz“ meine ich also den Umgang mit den bestehenden technischen Möglichkeiten.
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Fragile, Kinetische Lichtinstallation (interaktiv), Art Beijing 2012
Wie finden Sie Ihre Medien, ihre Gestaltungsmaterialien?
In der Auseinandersetzung mit aktuellen Medien und Materialien arbeite ich bei einem Projekt wie FlexiPolis eng mit der Industrie und Universitäten zusammen. In einem kooperativen Prozess mischt sich dann das technische Know-how mit künstlerischen Ansätzen zu etwas völlig Neuem und Spannendem.
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Wer inspiriert Sie? Gibt es Vorbilder?
Besonders China bedeutet für mich eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für meine Arbeit. Da ich lange in China gelebt habe und mich ständig zwischen beiden Ländern bewege, beobachte ich mit großer Aufmerksamkeit einen sehr spannenden Wandel.
China ist ein gigantisches Land, das sich mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit auf die Zukunft vorbereitet. Hier ist man mutig, neugierig und konsequent bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Konzepte. Diese Entwicklungen wirken sich natürlich auch auf die Kunstproduktion aus, in der sehr viel Bewegung ist. Vor zehn Jahren kam es mir bei meiner Ankunft in Beijing so vor, als würde ich in die Vergangenheit reisen. Heute habe ich das Gefühl in Deutschland in der Vergangenheit zu leben.
Kunst kann wie der Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen sein: Das Fremde wird im ersten Augenblick als Bedrohung wahrgenommen und abgelehnt. Doch wenn man sich dem Fremden öffnet, bringt diese Begegnung einen unglaublichen Gewinn für das Leben. Dieses Potenzial möchte ich durch meine Arbeit nutzen und möglichst vielen Menschen zugänglich machen.
Tobias Zaft, herzlichen Dank für die Einblicke in Ihre Arbeit!
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