“Die Bewegung von Menschen in meinen räumlichen Setzungen ist die eigentliche Skulptur.” INTERVIEW mit Christian Helwing
Ausgehend von der Schnittstelle von Kunst und Architektur realisiert Christian Helwing orts-spezifische Installationen, die Räume – Innen ebenso wie Außen-, Ausstellungs- ebenso wie Versammlungs- und Krichenräume – transformieren. Durch klare “Raummarkierungen” entstehen räumliche Situationen, die sich zwischen Raumgestaltung und -inszenierung, zwischen skulpturaler Objekthaftigkiet und Architektur bewegen und dabei stets den “menschlichen Maßstab” mitdenken: Die Bewegung der Besucher in den so veränderten Räumen spielt eine grundlegende Rolle in den gestalterischen Setzungen und ihrer Wahrnehmung.
Aktuell entwickelt Helwing seine raumtheoretische Arbeit u.a. in Bezug
auf die Campus-Parkgarage in Krems, Österreich, im Rahmen seines
AIR-Stipendiums Krems 2018. Im Frühjahr 2019 wird die Städtische Galerie Bremen in einer Doppelausstellung von dem Bremer Künstler Reinhold Budde und Christian Helwing orts-spezifisch neu definiert werden.
Im Interview mit deconarch.com erläutert Christian Helwing, in welche Weise Räume für seine Arbeit spannend werden und wie seine Installationen entstehen.
all illus. (c) Christian Helwing, VG Bild-Kunst, Bonn 2017
www.christianhelwing.de
INTERVIEW
Sie arbeiten vorwiegend mit Räumen, orts-spezifisch, und schaffen Ihre Arbeiten mit Bezug auf konkrete Orte. Was für eine Art Raum ist für Sie besonders interessant?
Präferenzen für eine bestimmte Art Raum habe ich keine. Ich versuche vielmehr, und darin liegt der Kern meines orts-spezifischen Ansatzes, für jede Räumlichkeit eine „ideale Lösung“ an den Schnittstellen von Kunst, Architektur und der Ausstellung als Medium zu finden. Ich nehme jeden Raum in seiner Spezifität sehr ernst.
„Raum“ ist für mich eine Art Manifest, wobei ich hier vom gebauten, architektonischen Raum spreche. Dieser konstituiert sich aus dem Boden, auf dem wir stehen und gehen, den Wänden, die uns umgeben, der Höhe eines Raumes, die uns nivelliert. Dies beziehe ich auf Innenräume und in zunehmendem Maße auch auf Außenräume in ihrem urbanen Kontext. Waren es, wie z.B. mit der Schaufenstersituation des Kunstvereins Ruhr in Essen oder dem Treppenhaus im Kunstverein Hannover, halb-öffentliche Räume, die immer noch als Innenräume anzusprechen waren, so sind mit der Arbeit P.P. für das Künstlerhaus Göttingen eine zeichenhafte Markierung der Fassade, und mit der konkret zu begehenden Arbeit Haus für den Portikus des Gerhard-Marcks-Haus in Bremen, eine ganz andere Raumqualität hinzugekommen. Die des öffentlichen Raumes, verbunden mit für mich ganz neuen Fragestellungen. Mit dem Projekt für die Campus-Parkgarage in Krems steigert sich dies noch einmal, da diese an einer städtebaulich äußerst spannenden Stelle liegt: Am Anfang der Kunstmeile Krems – zwischen Bahngleisen und der Justizanstalt Stein.
Ihr Interesse ist dabei das eines Bildhauers?
Ja, das könnte man so sagen, wobei mich bildhauerische, plastische Dimensionen interessieren, ohne diese in einer objekthaften Form fixieren zu wollen. Die Bewegung von Menschen in meinen räumlichen Setzungen ist die eigentliche Skulptur. Denn nur durch das unmittelbare körperliche Erleben der Raumsituationen und der Reflektion desselben, ohne hierbei auf eine plumpe Interaktion zu setzen, stellt sich in meinen Arbeiten ein Kunsterleben ein. Ein dynamisches Kontra, ein statisches Prinzip ist meine Maxime. Eine Nachbarschaft zu Bühnenräumen, wie in Center No Center für das House of Art in Budweis, ist dabei durchaus beabsichtigt
Wie finden Sie diese Locations – auf Einladung natürlich, aber gehen Sie auch von sich aus in bestimmte Räume, die ihr Interesse wecken?
Einladungen sind die Regel. Informationen zu meiner Arbeit versende ich dennoch, initiativ und nach eingehenden Recherchen. Bevorzugt an Orte, deren architektonisches Layout mich interessiert, die in ihrem Programm orts-spezifischen Arbeiten einen Raum geben oder die mit Künstlern kooperieren, die in einer ähnlichen Richtung arbeiten. Manchmal kommt es so zu einer interessanten Kommunikation, aber erst zweimal mündete eine initiativ geführte Kommunikation in einem konkreten Projekt.
Das „von sich aus in bestimmte Räume gehen“ ist schwer zu realisieren, da ich auf verschiedene infrastrukturelle Rahmenbedingungen angewiesen bin. Ihre Frage berührt zudem das heikle Thema der unaufgeforderten Projekt-Vorschläge. Institutionen verhalten sich diesbezüglich überwiegend restriktiv und Kuratoren wollen Künstler entdecken und nicht umgekehrt. Der Idealzustand wäre, Räume unabhängig von diesen Restriktionen bespielen zu können, dass Projekte sich an der Notwendigkeit zur räumlichen Intervention orientieren und nicht an den Strukturen des Betriebes.
Eine spannende Location ist gefunden. Wie gehen Sie vor Ort vor?
Meine Projekte beginnen stets mit einer Recherche und einem „Maß nehmen“ vor Ort. Die eigentliche Arbeit entsteht dann am Computer, aus Zeichnungen und an Modellen. Bevor ich diese konzeptionell fixiere, entstehen dutzende, manchmal hundert Skizzen zu einem Raum. Eine Art Brainstorming – auch auf Abwegen –, bei dem ich mein Thema finde. Mein Entwurfsprozess ist diagrammatisch und eine Kombination aus Bild (Fotokopie), Zeichnung und Text (Anmerkungen, Hinweise auf Bewegungszustände). Der ganze Findungsprozess ist eine Mischung aus Intuition und gedanklich-konzeptioneller Zuspitzung.
Zurzeit arbeite ich beispielsweise auf Initiative von ORTE, dem Architekturnetzwerk Niederösterreich, an der schon erwähnten Arbeit für die Campus-Parkgarage der Donau-Universität Krems. Nach Fertigstellung einer großen Anzahl von Zeichnungen wurde mir klar, dass Raumschnitte, sich als Farbfassung von der Fassade in die Treppenhäuser fortsetzend, keine Wirkung haben. Ganz einfach, weil die funktionalen Zuweisungen und die Erwartungen der BenutzerInnen des Parkhauses gänzlich andere sind, als die beim Betreten eines Kunstvereins. Es bestand die Gefahr, mich in eine dekorative Richtung zu bewegen.
Ich habe einen Schnitt gemacht und in der Analyse der Zeichnungen mein Thema gefunden: Parkhäuser sind Orte der Transformation. BenutzerInnen wechseln aus der Position des Autofahrers in die des Fußgängers und umgekehrt. Eigentlich ein krasser Szenenwechsel, bei dem es um Ordnung und Regeln, aber auch um Kräfteverhältnisse geht. Das Parkhaus markiert eine Grenze, und dies signalhaft zu transportieren ist mein Thema.
Welche Themen interessieren Sie dabei, was für Fragestellungen spüren Sie nach?
Ein Thema ist in all meinen Arbeiten angelegt – das der Verwicklung von BetrachterInnen auf körperlicher sowie rationaler Ebene und sie so zu Hauptpersonen innerhalb meiner Kunst werden zu lassen. Ich verfolge damit einen ganzheitlichen Ansatz, der an den Anfängen der künstlerischen und architektonischen Moderne andockt.
Grundlage meiner Arbeiten, gewissermaßen deren Material, sind die sozialen, historischen, architektonischen und repräsentativen Parameter eines Raumes. Obwohl es im Ergebnis bei meinen Arbeiten wiederkehrend formale Ähnlichkeiten gibt, sind die darin thematisierten Inhalte doch das Ergebnis einer Reaktion auf ganz unterschiedlich geartete Räume. Mich beschäftigen die verschiedenen Kontexte, in denen meine Arbeiten auftauchen. So hat zum Beispiel der Rote Teppich in der Stadtgalerie Kiel eine ganz andere Konnotation als der in der St. Salvator Kirche in Prag.
Fragestellungen ergeben sich aus der Architektur selbst, verstehe ich diese doch nicht als ein statisches Gebilde, sondern als ein zeichenhaftes System, welches sich verändern lässt. Das Moment der Aneignung von Architektur spielt eine Rolle, die Pläne von ArchitektenInnen in Ambivalenzen erzeugende Richtungen weiterzudenken und so die Erwartungen von BetrachterInnen zu negieren. Funktion versus ästhetische Erbauung, diesen veralteten und hierarchischen Kanon versuche ich zu durchbrechen.
Wie wählen Sie die Materialien, mit denen Sie arbeiten?
Bezüglich der verwendeten Materialien hat mein Werk schon verschiedene Phasen durchlaufen – raumteilende Trockenbauwände, Bauprozesse imitierender Betonputz auf Styropor oder modular gestapelte Faltkartons, die mit schwarzer Stretchfolie bespannt waren. Ich bevorzuge Materialien, denen eine gewisse Künstlichkeit anhaftet bzw. die, aus ihren Kontexten verschoben, eine surreale Anmutung bekommen. Momentan arbeite ich mit verschiedenfarbigen Messe-Teppichen. Das Material ist leicht und kostengünstig. Groß dimensionierte Arbeiten lassen sich damit problemlos realisieren und der Kostenfaktor spielt bei der Auswahl meiner Materialien immer eine wichtige Rolle. Was ich nicht möchte: schwere Lasten bewegen und damit Lagerkapazitäten beanspruchen, die mir ohnehin nicht zur Verfügung stehen.
Wer inspiriert Sie? Gibt es Vorbilder?
Vorbilder weniger, aber ein sich stets verändernder, inspirierender Input durch zum Beispiel: Bruno Taut, Frederick Kiesler, Gordon Matta-Clark, Patricia Johanson, SITE, Robert Morris, Cedric Price, Rachel Whiteread, Bernard Tschumi, Kengo Kuma …
Christian Helwing, herzlichen Dank für die Einblicke in Ihre Arbeit!