“Das Urbane ist mein Lebensraum – ohne naiv zu sein.” INTERVIEW mit Vanja Vukovic
Unwahscheinliche Gegenstände fliegen an eigenartigen Orten durchs Bild. Oder eigenartige Gegenstände an unwahrscheinlichen Orten? Ballons, Strohhalme, Wolken auf Brücken, in Parks, in der Stadt. Die Objekte sind völlig alltäglich, die Orte ebenso. Und doch sind sie in der Kombination seltsam – vertraut und fremd zugleich. Etwas ist, ja, was eigentlich? Anders, irgendwie.
In ihrer neuesten Serie Eat your words inszeniert Vanja Vukovic narrative Szenerien, wie man ihnen jeden Tag zu begegnen scheint in der urbanen Umgebung. In diesen Bildern jedoch gibt es ein künstlich hinzugefügtes “Störelement”, das so, in dieser Kombination, in dieser Position, der gewohnten Sicht nicht bekannt ist. Der zweite Blick versucht dem nachzuspüren. „Das urbane Leben besteht scheinbar aus unendlichen Möglichkeiten und Freiräume. Der Alltag dagegen besteht aus Routine und Gewohnheit”, so die Frankfurter Künstlerin. “Jeder Begegnung oder jede Szene hat einen versteckten Zauber, der oft unentdeckt bleibt. In meiner aktuellen Arbeit sollen diese unvermittelten kleinen Augenblicke des Fremden und der Verzauberung wieder erweckt werden. Die Phantasie, der Traum, die Sekunde der Irrationalität werden durch künstlich hinzugefügte Objekte herausgefordert. Etwas wird kenntlich und unkenntlich zugleich.”
Eat your words wird im April in der Frankfurter Galerie Parkhaus wk-16 erstmals öffentlich zu sehen sein.
Im Interview mit deconarch.com erzählt Vanja Vukovic von der Manipulation gewohnter Bildansichten, der Bedeutung des Urbanen für ihre Arbeit und wie mit Eye Tracking eine wissenschaftiche Methode auch in die Kunst Einzug halten kann.
all illus. (c) Vanja Vukovic
www.vanjavukovic.com
INTERVIEW
Eat your words – wie kam es zu dieser Serie, gab es einen besonderen Moment der Inspiration?
Künstler, die über Inspiration sprechen, klingen bis auf wenige Ausnahmen immer pomadig! Irgendetwas inspiriert einen, aber man kann in seltensten Fällen genau beschreiben, was es ist. Und wenn ja, sind es manchmal Banalitäten. Für Inspiration gibt es keine Gebrauchsanweisung Sinne von „Wie funktioniert mein neuer Fernseher?“.
Dann lass mich anders formulieren – gibt es Grundmotive, die du in der Serie umgesetzt hast?
Sicher, die gibt es. Wie kann ich gewisse Eindrücke, die ich habe, wiedergeben, transformieren, auf eine andere Stufe heben? All das, was Kunst jenseits des Versuchs einer exakten naturalistischen Wiedergabe eines Gegenstandes ausmacht. Nehmen wir ein simples Beispiel: „Wolken“. Zu diesem Thema gibt es in der Kunstgeschichte tiefschürfende Aufsätze – von Wolken bei William Turner, Caspar David Friedrich, René Magritte bis hin zu Gerhard Richter. Angesichts dessen, was schon vorhanden ist, kommt selbstverständlich die Frage auf: Kann ich da noch etwas Neues machen?
Und trotzdem sehe ich eine Wolke, habe ein Gefühl für den Moment, für den Wind, die Stimmung, das Licht und will das alles irgendwie festhalten. Dann denke ich darüber nach, was alles schon in der Kunst gemacht wurde, und komme mir ganz unkreativ vor. Und dann kommt die Idee, Gegenstände aus dem Bereich der Kunst neu zu inszenieren: Ballons, Blätter, Wolken etc.
Die Aufnahmen sind inszeniert. Wie wählst du die Locations aus? Und was bedeutet hier das „inszeniert”?
Eat your words ist konzeptuell, weniger intuitiv wie frühere Arbeiten. Das beginnt schon bei der Wahl der Location. Die vorgefundene dokumentarische Stadtlandschaft muss etwas mitbringen, was meine „erfundene“ Geschichte unterstützt. Eine Brücke, die einfach grundlos endet, etwa. Allerdings funktionierte nicht jeder Gegenstand zur benannten Location, so dass ich vor Ort experimentierte. Im Prinzip ist mein fertiges Bild ein Remix der fotografischen Abbildung der Wirklichkeit. „Remix Reality“: Die stimmigen Einzelteile werden von mir voneinander gelöst und wieder inszeniert, so dass etwas Neues entsteht. Ganz konkret werden Objekte anders positioniert, das Licht ist teilweise gefakt, eine Stimmung besonders akzentuiert. Zum Beispiel ist die Wolke vor Ort inszeniert, dann aber nachträglich im Bild anders positioniert worden. Es ist eine manipulierte Aufnahme, die „faktisch“ nicht stimmt, aber emotional stimmig ist. Der Rest der Geschichte passiert in den Köpfen der Betrachter. Das ist dann nicht mehr mein Job.
Warum die Inszenierung im Stadtraum, was macht den öffentlichen Raum für deine Arbeit so interessant?
Weil es mein Lebensumfeld ist. Ich liebe die Urbanität, die Dynamik, den Austausch, die Geschwindigkeit, die kulturellen Strömungen und Zusammenhänge, die allein am Hauptbahnhof aufeinander prallen, wo sich mein Atelier befindet. Das Urbane ist mein Lebensraum – ohne naiv zu sein. Natürlich sehe ich auch die städteplanerischen Sackgassen, die Drift und die Erosion, auch am Ende die Gentrifizierung. Die klassischen Hollywood-Filme der 1930er Jahre wurden ja komplett im Studio gedreht, selbst wenn man die passenden Szenerien real um sich herum hatte. Das war dann mit Pappmaché und Styropor nachgemachte Realität. Bei mir ist es andersherum. Ich arbeite möglichst nur draußen, nehme die Stadtlandschaft und mache daraus mit manchmal ein wenig Aufwand einen künstlerischen Fake (lacht.)
Grundsätzlich archiviere ich alle Ideen in einem Skizzenbuch. 95 Prozent davon werden nie umgesetzt, aber ein paar Dinge schon. Eine Szenerie, die ich abends in einer Kneipe gesehen habe. Das Unwohlsein, das mich bei bestimmten politischen Tendenzen befällt. Aber auch der Kampf, den man ein Leben lang mit sich selbst führt. Ich sehe und arbeite aus meiner eigenen Erfahrung und Sozialisation heraus. Manchmal würde ich gerne tauschen, diese Person, die ich bin, neu erfinden, aber das ist sehr schwer. „Kunst“ ist immer auch ein bisschen Selbstbefreiung – im Sinne von: Mit jedem Projekt lebt man eine andere Facette seines Ichs aus.
Du erwähntest, dass bei früheren Arbeiten die Intuition wichtiger war als das Konzept …
Grundsätzlich entsteht auch jedes Konzept für eine Bildserie aus einer Intuition. Ich kann diese beiden Sachen nicht voneinander trennen. Am Anfang sind immer Bilder. Wie die klassischen amerikanischen Straßenfotografen der 1950er ziehe ich mit der Kamera in der Hand los und schaue mich um, was passiert. Ich lasse die Dinge geschehen, höre zu, beobachte und mache Fotos. Manchmal sammle ich so über Wochen etliche hundert Aufnahmen. Und dann sehe ich sie mir an und mir fallen Zusammenhänge auf. Das leitet mich vom intuitiven Prozess zum konzeptionellen Arbeiten. So entstanden zum Beispiel the dark sides of sparkling oder deprived to reality.
Zurück zu Eat your words. Wie war dein Arbeitsprozess, ganz praktisch?
Berührungsängste mit Photoshop habe ich nicht. Wenn ich allerdings eine Idee „real“ umsetzen kann, dann versuche ich das. Die Wolke wurde zum Beispiel mit einer Breite von 1,20 m für das Motiv aus Pappe und Watte hergestellt und auf Stativen gehängt, so dass sie frei an Schnüren schwebt. So werden das Licht und die Stimmung des Bildes nicht verfälscht, es bleibt homogen. Es ist also inszeniert und authentisch zugleich. Fotografiert habe ich digital auf Mittelformat. Am Ende habe ich die Stative und die Schnur aus dem Bild heraus retuschiert, um die Illusion perfekt zu machen.
Und was bedeutet der Serien-Titel?
„If you eat your words, you admit that something you said was wrong.” – Der Titel ist eine Anspielung darauf, dass etwas im Bild nicht stimmt. Die Ballons und Strohhalme sind aus dem zeitgenössischen Kunstkontext entnommen. Zum Beispiel arbeitet Banksy oft mit Ballons oder Tara Donovan bedient sich bei ihren skulpturalen Arbeiten auch der Strohhalme.
Aktuell läuft auch eine wissenschaftliche Studie mit und zu dieser Serie. Deine Aufnahmen werden mit Eye Tracking-Methoden erforscht. Was hat es damit auf sich?
Das Sehen zu hinterfragen, ist ein Standardprogramm für Fotografen. Wer das als Fotograf nicht macht, kann ja knipsen. Gibt ja genug Handys auf der Welt.
Eye Tracking ist eine wissenschaftliche Methode der Blickerfassung, die das Wahrnehmen von Bildern durch Blickbewegungen anhand eines Gerätes erfasst. Die gängigste Form der Bildgestaltung ist der goldene Schnitt und die Zentralperspektive, was zu Symmetrie und Harmonie führt. All dies Regeln des klassischen Bildaufbaus, mit denen ich eher spielerisch umgehe. Mal breche ich sie, mal betone ich sie. Beides ist möglich, nur beiläufig sollte es nicht sein, sondern gezielt gesetzt. Es geht mir also um die zentrale Frage der Wirkungsweise von Bildern. Kann man das optimale Bild für den Betrachter konstruieren und vor allem: Welche Wirkung hat es? Vielleicht ist das Bild dann einfach nur leer und langweilig.
Vanja, herzlichen Dank für den Blick hinter die Kulissen deiner Arbeit!