“Architektur hat viele Aspekte. Geschichte, Skulptur und Form, sie prägt einen Ort mehr als alles andere.” INTERVIEW mit Steve Faraday
“We show the world, one drawing at a time!”, treffender könnte das Motto nicht sein, das die Arbeit der Urban Sketchers umschreibt. Weltweit zeichnen Künstler – Profis ebenso wie Amateure – Orte, in denen sie leben oder die sie bereisen, um diese mit allen Facetten und Besonderheiten zu dokumentieren und erlebbar zu machen. Diese Art des visuellen Journalismus, die 2007 von Gabriel Campanario in Seattle ins Leben gerufen wurde, will das (meist urbane) Leben so zeigen, wie es vor Ort gesehen wurde. Ihre Zeichnungen teilen die Urban Sketchers in Blogs, via Tumblr und Flickr, in sozialen Netzwerken. Ein acht Punkte umfassendes Manifest stellt dabei einen Rahmen dar, der die mittlerweile weltumfassende Bewegung verbindet – neben dem handwerklichen Aspekt der wahrhaftigen Dokumentation von Gesehenem vor Ort ist auch der Austausch und die gegenseitige Unterstützung ein maßgeblicher Punkt der gemeinsamen Arbeit. (Mehr zu den Urban Sketchers.)
Einer von ihnen ist der in Karlsruhe lebende britische Grafiker Steve Faraday. Schon seit Jahrzehnente zeichnet er Stadtmotive, mit denen er jetzt in der Urban Sketching-Bewegung eine künstlerische Heimat gefunden hat. Seine reduzierten, meist bichromen Zeichnungen zeigen Momentaufnahmen nicht nur, aber vor allem aus Karlsruhe, seinem städtischen Lieblingsmotiv. Skurrile, witzige Ausschnitte aus dem städtischen Alltag sind ebenso draunter wie einprägsame, alltägliche, überraschende, übersehene architektonische Ansichten.
Auf tumblr und flickr teilt er seine Zeichnungen.
Mit deconarch.com hat Steve Faraday darüber gesprochen, wie er zum Urban Sketching gefunden hat, warum gerade Architekturmotive reizvoll sind und was Karlsruhe zu seinem bevorzugten Motiv macht.
all illus. (c) Steve Faraday
faradaysketches.tumblr.com //www.flickr.com/groups/urbansketches/
INTERVIEW
In medias res: Urban Sketching – was ist das?
Urban Sketching ist Zeichnen von allem, was es in der Stadt gibt oder was dort passiert. Es kann alles sein, „schön“ oder nicht. Die Zeichnung ist immer vor Ort gezeichnet, bei mir wird nachher Farbe in Photoshop zugefügt.
Das Begriff „Urban Sketching“ ist mittlerweile 10 Jahre alt und es ist eine Art Bewegung daraus geworden.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich habe immer Gebäude gezeichnet, meistens historische Gebäude, die Klischees! Aber ich merkte, dass ich dazu immer mehr Szenen, Skurriles und Ereignisse in der Stadt zeichnete.
Früher habe ich auch mehr fotografiert als heute. Ich finde aber, mit Zeichnen kann man besser hervorheben und betonen, was wichtig für der Komposition ist. Dafür wähle Ich nur eine Farbe aus und koloriere, was für die Szene wichtig ist, und vereinfache Elemente im Bild oder lasse weg. In der Zeichnung ist der Stil viel stärker als in der Fotografie! Und ich finde es im Vergleich zum Zeichnen auch viel schwieriger, ein gutes Fotos zu machen.
Was interessiert Sie an den Architekturmotiven, die Sie immer wieder zeichnen? Warum das Interesse an Räumlichkeit?
In die Schule wir haben so oft Obst auf einem Tisch gezeichnet, da war es ein Genuss nach der Schule draußen große Gebäude zeichnen zu dürfen! Architektur hat viele Aspekte. Geschichte, Skulptur und Form, sie prägt einen Ort mehr als alles andere. Architektur kann man als ein großes Objekt betrachten oder auf die Details zoomen. Auch wie das Gebäude benutzt wird, sein Zustand, ist ein Aspekt, der mich interessiert.
Wie ist Ihr Arbeitsprozess: Gehen Sie konzeptionell vor oder finden Sie Ihre Motive spontan?
Beides. Manchmal ich laufe herum und bemerke etwas, das ich zeichnen will. Früher war ich ohne Hocker unterwegs und war gezwungen, nicht nur ein gutes Motiv zu finden, sondern auch eine bequeme Bank dazu. Es sollte auch nicht zu heiß und es muss trocken sein. Und ich muss auch in der richtigen Laune sein!
Ich habe auch eine Liste von Motiven, die ich zeichnen will. Zum Beispiel hatte ich bis gestern einen schnörkeligen Eisenbalkon neben einem moderneren Betonbalkon auf meiner „Wunschliste“. Nach diesem Motiv habe ich lange gesucht – und gestern bin ich zufällig genau darauf gestoßen. Dass der Eisenbalkon auch noch Blumentöpfe, Stühle und Tisch hatte und der Betonbalkon trocknende Kleider und eine Satellitenschüssel war ein Bonus.
Vor allem Karlsruhe, wo Sie leben, wird immer wieder Motiv Ihrer Zeichnungen. Was reizt Sie hier?
Ich möchte alles mögliche über Karlsruhe auf Papier festhalten. Ich mag Aussichten, und weil Karlsruhe so flach ist, gibt es nur von Gebäuden aus Aussichten: Ich habe ein paar Hochhäuser in der Stadt angeschrieben, ob ich von dort zeichnen darf. Beim Landratsamt hat es geklappt. Stundenlang vom 19. Stock zeichnen, das war klasse.
Ich war auch auf der Dachterrasse von Softtec in dem alten Sinner Brauerei unterwegs. Und bald werde ich vom Glockenturm der Markuskirche zeichnen. Außerdem möchte ich versuchen, über nebenan.de Leute zu finden, von deren Wohnungen aus ich zeichnen darf, um neue Blicke auf die Stadt zu finden. Ich finde es interessant, bekannte Szene von einem anderen Winkel aus zu zeichnen.
Eine weitere Idee: Ich möchte Flüchtlinge und ihre provisorischen Unterkünfte zeichnen, aber ich habe von die Behörden noch nichts gehört. Es wäre vielleicht auch für die Leute dort, besonderes für die Kinder, eine interessante Ablenkung zu ihrem Alltag.
Ich möchte auch typisch Deutsches auf Papier haben. Zum Beispiel das Kreidedatum an den Türen der Heiligen-Drei-Könige. Stolpersteine, Luftschutzkeller, tote Hirsche als Deko, Brennholzstapel. Fasching, Fahrräder, Verbindungen. Greifvogelfensteraufkleber! Typisch deutsch! Und in Karlsruhe, natürlich, die Baucontainer.
Es gibt so viel in der Stadt zu zeichnen. Ich bin oft unterwegs, etwas von meiner Liste zu zeichnen, und entdecke etwas anderes Unerwartetes, hübsch oder hässlich.
Die Architekturansichten sind in der Regel menschenleer – warum?
Gebäude bewegen sich weniger. Leute sind in den meisten meiner Szenen nicht so wichtig, aber manchmal ich will Leute zeichnen – aber ich kann es nicht so schnell! Ich habe versucht, gezielt Leute auf der Straße zu zeichnen, aber sie bewegen sich wahnsinnig viel. Letztendlich zeichne ich, neben Gebäuden, Fahrräder und Schilder.
Gibt es Vorbilder, Inspirationen, Einflüsse?
Es gibt eine Unmenge an Zeichnern, die mir gefallen. Ich zeige meine Arbeiten auf Tumblr und Flickr, dort es gibt klasse Künstler! Leute, die einen so starken Stil, dass sie alle zeichnen könnten, es würde mir gefallen.
Der Journalist-Illustrator Olivier Kugler hat mich auf die Idee gebracht, Farbe ins Bild zu bringen. Ich habe früher meistens schwarz/weiß gezeichnet, denn bunt mag ich nicht so. Daher habe ich die Eine-Farbe-Regel für meine Bilder. Und ein Freund von mir, Andi Wittchen, hat auf Reisen oft skurrile und witzige Szenen skizziert, das habe ich früher auch nicht so gemacht und vielleicht er hat mich beeinflusst.
Steve, herzlichen Dank für die Einblicke ins Urban Sketching!