„Der Zufall ist ein willkommener Freund in meinem Schaffen.“ INTERVIEW mit Christian Henkel
Sperrholz und Wellblech, Latten und Plexiglas – es ist Weggeworfenes, Abfall, aus dem Christian Henkel seine Objekte baut. Bestimmt vom Zufall sammelt er Fundstücke und fügt sie zusammen, lässt Form und Material sich zusammen finden, seinem eigenen ästhetischen Diktat entsprechend. Etwa zu Objekten wie “Hinterm Berg…”, “Vorm Berg…”, die aussehen wie eine Mischung aus Bauwagen und überdimenioniertem Vogelhaus, zwischen Baumodell und Spielfigur, massive Körper auf zierlichen Metall„beinen“.
Henkels Interesse gilt besonderes den Bau-Formen, dem Gebauten, Raum und Räumlichkeit. Dabei verfolgt er kein zugrunde liegendes Konzept, sondern lässt Intuition und Zufall bestimmen – als Amateur Standard, wie er seine Arbeitsweise, mit einem Augenzwinkern, nennt: Amateurhaftes, Gebrauchtes, unvollkommen und unvollendet Unfertiges fügt sich einem – Henkels – Standard entsprechend zusammen und formt Neues. Zufall und Überraschung sind dabei willkommene Begleiter. „Skulptur“ ist Ziel und Weg seiner Arbeit zugleich.
Aktuelle Arbeiten von Christian Henkel sind Ende des Monats in der Berliner Galerie Emmanuel Post und im Dezember in einer Doppelausstellung im Kunsthaus Erfurt zu sehen.
Im Interview mit deconarch.com erläutert Christian Henkel sein Interesse an Räumlichkeit und Gebautem, welche Inspiration Alltägliches und Kitsch für seinen Amateur Standard bedeutet und – warum gerade Skulptur.
all illus. (c) Christian Henkel
www.christianhenkel.com
INTERVIEW
Du baust Skulpturen aus verschiedensten Materialien, die an Baumodelle erinnern. Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit Architektur für dich?
Architektur ist Skulptur. Architektur ist allgegenwärtig, nicht nur in unserem Kulturkreis, und ist stets eine Auseinandersetzung mit Raum und Material. Jede baugeschichtliche Generation bringt ihre Formsprache und Materialien mit. Hinter allen Gebäuden stecken die Philosophien ihrer Zeit, stecken Weltbilder. Das füttert einen unweigerlich mit Ideen für die eigene Arbeit. Das Archiv, welches ich nutze, ist da draußen an allen Ecken zu finden. Ein Reflektionsraum menschlicher Existenz – und wir Menschen geben ständig neue Antworten darauf. Ich kann indes ganz zwecklos an meinen Dingen bauen und meine Skulpturen haben keinen gesellschaftlichen Dienst zu erfüllen. Ich muss mich an keine DIN-Normen halten und keine Statiker befragen.
In der Ausstellungsreihe „mixed signal“ etwa waren etwa Objekte zu sehen, die zwischen Bauobjekt und biomorpher Figur changieren, zwischen Holz – Haus, Zaun, wohnlich – und bunter Transparenz – Plexiglaslatten – changieren. Kannst du uns diese Arbeiten und deine Gedanken zu ihnen etwas näher vorstellen?
Meine Formen unterliegen, wie gesagt, keinem Diktat irgendeiner Funktion, außer der, für die ich sie baue – sie sollen stehen, liegen, hängen, leuchten etc. So entkommen sie gesellschaftsrelevanten Kompromissen, denn das würde sie stark einschränken. Das ist für mich Teil des Reizes, die Ästhetik des Nutzlosen. Ein Bau hingegen hat seinem Auftraggeber einen Dienst zu erbringen. In meinem Fall bin ich aber Auftraggeber, Architekt und Nutzer des Gebauten. Allerdings beneide ich Architekten um die Dimensionen, in denen sie ihre Visionen umsetzen können und das mit dem Geld anderer.
Im Kunstverein Ulm z. B. war ich mit drei Arbeiten in der Ausstellung „mixed signals” eingeladen. Diese Ausstellungsreihe setzt sich formal und analytisch mit der Klassischen Moderne auseinander. So geht es bei Skulptur im Allgemeinen ja um Raum, physischen, realen Raum im herkömmlichen Sinne und im übertragen Sinn um einen künstlerischen Reflex auf soziokulturelle Ausprägungen. Die größte in Ulm gezeigte Arbeit, „sun giant”, steht ganz im Tenor dieser Betrachtungsweise.
Menschen schaffen Räume. Peter Sloterdijk z.B. begreift Kultur als ein Projekt zur Herstellung von Innenräumen. Ich wollte für diese Skulptur den Innenraum auf eine Weise erfahrbar machen, aber nur in einem diffusen Zustand sichtbar werden lassen. So gibt es zwei Kammern im Inneren, welche getrennt voneinander beleuchtet sind. Ein Bereich strahlt durch ein spezielles Glas aus den Siebzigern und die andere Seite wirft ihr Licht durch ein herkömmliches Lochblech. Beide Kammern werden von Radiant Plexiglasstreifen überzogen, deren halbdurchlässig reflektierender Charakter die Lichtkammern nach außen abgrenzt und außerdem auf moderne Gebäudestrukturen verweist.
Warum dieses Interesse am Räumlichen, an Räumlichkeit?
Räumlichkeit ist die totale Direktheit im Umgang mit Realität. Man erzeugt ein physisches Gegenüber. Das Objekt wird zu einem Fakt, den ich sofort ernst nehmen kann. Dagegen ist beispielsweise die meiste Malerei nostalgisch, sentimental und illusionistisch. Sie bleibt zumeist Abbild einer bestimmten Sache. Mich hingegen interessiert die Sache selbst viel mehr.
Die Sache selbst interessiert, was bedeutet das? Oder anders gefragt: Warum Skulptur?
Im Grunde empfinde und denke ich wie ein abstrakter Maler. Ich erschaffe Bilder, nur fügen sich diese im Raum zusammen. Die Perspektive ist das Bild und das Malen findet auf der Oberfläche der einzelnen Skulptur statt. Es gibt nichts Besseres. Wenn eine Skulptur eine Erfindung ist, ist Malerei nur eine Geschichte über eine Erfindung. Das reicht mir einfach nicht.
Was heißt das?
Im banalsten Fall habe ich für einige meiner Arbeiten zwei, drei Holzplatten, die ich gleichwertig bemale und dann für verschiedene Seiten einer Skulptur benutze.
Wenn ich also Formen, Linien, Farbe auf eine Fläche bringe und dann um eine weitere, im Winkel abknickende, ergänze und so weiter, habe ich doch spätestens nach der zweiten einen Raum geschaffen. Von der Fläche über die Ecke zum Raum. Ab jetzt geht es nicht mehr um die Illusion dessen, sondern man hat es mit realer physischer Präsenz zu tun. Donald Judd sagt dazu: „Damit es mit der Farbe weitergehen kann, muss es sich im Raum ereignen.” So geht es mir um ein Bild im Raum, nicht um den Wettstreit der Medien gegeneinander. Ein gutes Bild bleibt ein gutes Bild.
Welche Möglichkeiten eröffnet dir das künstlerische Arbeiten?
Kunst in all ihren Gattungen ist etwas, was mich zutiefst beschäftigt und bewegt. Musik allerdings scheint mir die Königsdisziplin zu sein, da sie sofortige Emotionen beim Hörer erweckt. Wenn ich es auch nicht schaffe, beim Betrachter Vergleichbares aus zu lösen, ist dennoch der Prozess in meiner Arbeit ein wenig wie das Improvisieren mit Musikern. Ein Ton ergibt einen neuen. Das ist Alchemie, die Dinge kommen in Schwingung, das ist Energie, Kraft und Erkenntnis und das brauche ich zum Arbeiten und in meinem Leben. Kunst ist für mich ein Gefühl und ich bedauere, dass heute vieles nur noch als Konzept und Projekt wahrgenommen wird. Kunst wird institutionalisiert und für kulturpolitischen Quatsch missbraucht oder, um es mit Susan Sonntag zu sagen: „Die Konzeptkunst ist die Rache des Intellekts an der Kunst.“
Wo – und wie – findest du deine Motive und Themen?
Ich brauche nur mit offenen Augen durch die Welt zu laufen und filtere diese für mich nach Brauchbarem. Egal, ob das ein Spielplatz, eine Nähmaschine oder ein Graffiti ist.
Kunst ist für mich ein Spiel und ich finde es leicht, Anregung dafür zu finden. Alles um uns herum kann als Raum wahrgenommen werden und ist somit von Grund auf Potenzial.
Ich begebe mich gern auf Reisen oder schaue mir Ausstellungen an, dort finde ich alles, was ich brauche. Ich bin schnell inspiriert. Es passiert eine Menge, wenn ich von zu Hause, vorbei an der Baustelle, Alis Nippesladen, den Mülltonnen, der Tischlerei in den Hinterhof meines Ateliers laufe. Mein Denken basiert auf einem sehenden Verständnis der Dinge. Und meine Themen finde ich mir genau so, wie ein streunender Schuljunge auf dem Heimweg.
Und wie „verarbeitest“ du diese Fundstücke dann weiter, gehst du eher konzeptuell vor oder ist dein Arbeitsprozess von Zufall geprägt?
Der Prozess findet ja schon seit Jahren statt. Ich muss nicht mehr bei Null mit meiner Arbeit beginnen. Alles was ich im Moment tue, basiert auf vorangegangenen Arbeiten oder Gedanken. Die Dinge befinden sich im Fluss und ich habe das große Glück, nicht an Ideenlosigkeit zu leiden.
Ein Konzept verfolge ich nicht. Es gibt verschieden Themen, die mich interessieren und in deren Bereich ich mich zu bewegen versuche. Beispielsweise ästhetische Belange und Wirkung von Farben und Materialien in Subkulturen, Folklore, Design, Schlager Streetart und Zeitgenössischer Kunst. Auch eben Kunstbereiche, deren Definition klar über Musik wargenommen wird.
Was macht Kitsch so reizvoll für dich?
Was macht Kitsch und schlechten Geschmack so reizvoll für mich? Eine gute Frage in dem Zusammenhang könnte sein: „Was macht diesen Stuhl zu einem Stuhl? Und: „Kann dieser Stuhl eine interessante Skulptur oder eine Gedankenvorlage für mich sein?” Dabei sind meine Arbeiten stark subjektiven Charakters und speisen sich aus meinen expressiven Impulsen, Dinge zu tun, die mir auch Spaß machen müssen. Ich wollte meine Kunst immer wie Musik betrachten und machen. Das Improvisieren als Technik einsetzen.
Hinzu kommt dann noch die Auseinandersetzung mit meiner Zeit und meinen Zeitgenossen. Warum zum Beispiel ähnelt die junge Szene in großen Teilen mehr und mehr einem Lifestyle? Welche Strömungen gibt es momentan und wie kann man denen zu wider handeln? Absichten der absoluten Originalität eines Künstlers sind in meinen Augen unabdingbar. Tendenzen des Störens sind mir sehr wichtig. Ich möchte auch ärgern können. Das allerdings kann man eher als die mehaphysische Ebene meines Schaffens betrachten, es beeinflusst meine Kunst nur indirekt, unter der Oberfläche. Leidenschaft im Handeln, Präzision in der Ausführung und zu wissen, was man erreichen will, sind absolute Prämissen.
Wer inspiriert dich?
Alles. Gutes wie Schlechtes. Altes wie Neues.
Echte Vorbilder hatte ich mit 16. Das waren die Künstlerfreunde meines Vaters und Henry Moore und August Gaul. Ich wollte Tierbildhauer werden. Am Ende geht es immer um Energien und die bekomme ich in gleicher Weise, wenn ich mir etruskische Tierkopfurnen ansehe oder farbig eloxierten Rundstahl!
Du sprichst für deine Arbeit auch von „Amateur Standard“ …
Vor einigen Jahren habe ich meine Arbeitsmethode „Amateur Standard“ getauft. Das demonstriert meine Prioritäten. Der Amateur wird hierbei zum passionierten Volkskünstler und nicht zum Dilettanten. Zu viel an Perfektion und kühler, berechnender Virtuosität tötet die Sache. Der Standard dabei sind meine Regeln. Gleichermaßen geht es um Raum, Farbe, Form und Material. Für mich als Künstler ist es oberste Priorität, auf meine „innere“ Stimme zu hören. Das Thema ist quasi längst gefunden. Es heißt „Skulptur“ und ich finde Wege, dieses auf meine Weise zu behandeln. Der Prozess und die Arbeit selbst sind dabei sehr wichtig, weil sich durch die Handlung alles verändert und mich in neue Bahnen lenkt. Es gibt natürlich einen groben Fahrplan, aber ich liebe Dinge, die mich überraschen, die ich nicht vorhersehen konnte, die ich aber in meine Arbeit einbinden kann. Der Zufall ist ein willkommener Freund in meinem Schaffen.
Mit welchen Materialien arbeitest du, warum?
Holz, Metall und Glas waren und sind die bestimmenden Materialien in meiner Arbeit. Das sind allesamt klassische Materialien der Kunstgeschichte und auch der klassischen Moderne und Architektur. Ich selber bin, vor meiner akademischen Ausbildung, in eine Holzbildhauerschule gegangen, um mich danach in der Hochschule möglichst weit vom Handwerk zu lösen. Jetzt ist es genau diese Schnittstelle in der Kunst, welche mich interessiert. Mich beschäftigen die Widersprüche und Gemeinsamkeiten von hoher und niederer Kunst und wie gehen diese mit denselben Materialien um. Was kann ich mir bei sensibler, traditioneller Hinterglasmalereien abschauen und in Wettstreit stellen mit dem avangardistischen Umgang von Glas und Großzügigkeit der Klassischen Moderne? Mit welchen Reizen kann ich rechnen, wenn ich klare, konkrete Metallelemente mit geschmiedeten Eisenapplikationen vermische? Wie kann ich die naive Leichtigkeit und Leidenschafft von Bauernmalerei in Schwingung bringen mit minimalisteischer Klarheit?
Die Dinge widersprechen sich nur in ihrer Entstehungsgeschichte aber nicht, wenn ich sie als Zitate benutze, wie ein Material, wie eine Farbe. Ich interessiere mich für sogennante tradierte Techniken. Genau aus dem Grund, warum man sie wahrscheinlich in der Moderne belächelte. Für meine Begriffe kann man aus allem Kunst machen.
Ich binde gefundene Gebrauchs- und Dekorgegenstände in meine Arbeit ein. Diverse Objekte gieße ich in Bronze. Im Moment bin ich ausschließlich mit Keramik beschäftigt.
Die Verwendung dieser Materialien liegt einem prinzipiellen Interesse für Kunst und Bildhauerei zu Grunde. Nennen wir es reflektierendes Handeln. Vor Jahren noch habe ich versucht, mich diesen Themen ironisch zu nähern, habe aber gemerkt, dass ich viel mehr am eigenen Schaffensprozess interessiert bin. Das ist direkter, leidenschaftlicher und ehrlicher und eines der höchsten Dinge, die man in der Kunst anstreben kann.
Und zu guter Letzt: Welche Rolle spielen Titel für deine Arbeit?
Nichts geht über einen guten Titel für eine gute Arbeit. Im optimalen Fall ist dieser nicht nur der Schlüssel zum Werk, sondern verleiht der Arbeit ihre Einzigartigkeit. Im Normalfall kommt es aber dennoch zu einer Benennung, in welcher genügend Spielraum für z. B. Ironie oder Poesie ist. Titel sind mir wichtig und zeigen mir auch bei anderen Künstlern Facetten abseits vom tatsächlichen Objekt. Titelgebung ist eine Kunst neben der Kunst, da muss man sich nur Fischli und Weiss, Kippenberger oder Urs Fischer anschauen. Gut für den der es kann!
Christian, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit!
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