„Architektonische Formen dokumentieren häufig einen Status quo der soziopolitischen und ökonomischen Entwicklung unserer Gesellschaft.“ INTERVIEW mit Michael Dekker
Timeline. Eine raumgreifende Struktur. Knallig leuchtendes Grün. Schichtholz, durchbrochen und kleinteilig, fein und filigran geschwungen, aber doch nicht fragil. Timeline hat etwas organisch Gewachsenes, Ungeordnetes, und doch ist die “gemachte” Struktur, der konstruierte Charakter deutlich, die Bearbeitungsspuren sind offensichtlich.
Michael Dekkers Interesse gilt der gestaltenden Kraft der Natur, der er die Gestaltung von Menschenhand entgegensetzt. Seine teils sehr raumgreifenden Skulpturen entfalten ihre besondere Wirkung aus dem Zusammenspiel von künstlichen Materialien und „natürlich“ scheinender, gewachsener Formen. Zugleich wirken sie, trotz ihrer Größe, fragil und dynamisch.
Strukturelle Fragen beschäftigen den Düsseldorfer Bildhauer – 2013 hat er als Meisterschüler von Anthony Cragg die dortige Akademie beendet – ebenso wie Formales. Wie hinterlässt der Mensch Spuren in der Natur, wie im urbanen Raum? Er arbeitet mit zeitgenössischen Materialien, wie sie im urbanen Alltag zu finden sind. Aus ihnen entstehen expressive Raumformen, die Statik und Dynamik an ihre Grenzen bringen. Manuell Gefertigtes verbindet sich mit industrialisierten Fertigungsverfahren, natürliche Prozesse werden künstl(er)i(s)ch – wenn etwa tektonische Schichtstrukturen in massive Bronze gegossen werden.
Tektonik und Archi-Tektonik, durch den Künstler Konstruiertes, verbinden sich: Mensch und Natur treten in einen überraschenden Dialog – ebenso widersprüchlich wie einander ergänzend. Dekker hinterfragt Raumstrukturen, Räumlichkeit, Konstruktionen: Natur und Stadt, Geologie und Menschengemachtes treten in Dialog, kontrastreich und brachial, spannungsgeladen und widersprüchlich, Sehgewohnheiten aufrüttelnd.
Vor allem in jüngeren Arbeiten kommen zudem zunehmend Eindrücke des Urbanen zum Ausdruck. Besonders architektonische Fragmente und Formen werden immer mehr zum Bestandteil von Dekkers skulpturaler Formensprache. Sie verweisen auf den Grenzbereich zwischen städtischer Realität, planerischer Fiktion und Prozessen gesteinsbildender Vorgänge in der Natur.
Damit nimmt Dekker nicht zuletzt auch fragend Bezug auf die heutige Gesellschaft. Welche Sinnzusammenhänge prägen unser Leben? Welches Verhältnis zu Natur und „Künstlichem“ kommt zum Ausdruck in unserem Umgang mit Formen und Materialien? Welche Spannungen, aber auch welche Gemeinsamkeiten formieren sich?
Gerade waren Arbeiten von ihm in Basel zu sehen (BURST SCULPTURE, 15. – 22.06.2014, ZIP), zudem ist Dekker für die Shortlist des Pfalzpreises für Bildende Kunst “Plastik” nominiert, der im Spätjahr vergeben wird. Wir drücken die Daumen!
Im Interview mit deconarch.com erläutert Michael Dekker sein Interesse an der Auseinandersetzung mit Räumlichkeit, welchen Einfluss die Geologie auf seine Arbeit hat – und was diese mit einem Computer verbindet.
all illus. (c) Michael Dekker,
www.michael-dekker.de
INTERVIEW
Deine Konstruktionen greifen geologische und architektonische Formen auf und verbinden sie zu oft raumgreifenden Konstruktionen – etwa in „Timeline“. Dabei geht es, wie du sagst, um das kritische Hinterfragen der Definition von Raum sowie der Thematisierung von Strukturen. Kannst du das etwas präzisieren?
So gesehen kann die Rede von Strukturen im Raum sein. In „Timeline“ kommen Raumstrukturen sowohl aus der Natur als auch aus dem urbanen Umfeld zusammen, die kontrastierend in einen spannungsreichen und brachialen Dialog treten. Strukturen aus dem Stadtraum, das meint vorwiegend Formen von Architekturen, sowohl gewöhnliche Alltagsarchitekturen als auch außergewöhnliche und spektakuläre zeitgenössische Architektur im weitesten Sinne.
Der Titel „Timeline“ weist auf die geologische Schichtung hin, die anhand offenstehenden abgetragenen Gesteins tagebuchartig gelesen werden kann. Die Zusammensetzung der Schichtungen gibt Aufschluss über das Geschehen in den unterschiedlichen Erdzeitaltern. Auch in „Timeline“ gibt es unterschiedliche Etagen und Ebenen, die zitierend die Eigenschaften geologischer Schichtungen aufgreifen, jedoch durch die dissoziative Anordnung und das industriell vorfabrizierte Material einen Bruch herstellen.
Was für „Timeline“ gilt, ist charakteristisch für deine Arbeit: Geologische Grundformen wie Schichtung, Verformung, Plattenverschiebungen treffen auf bearbeitetes Material, Natur und Architektur, von Menschen Gemachtes kommen zusammen– du kombinierst gewissermaßen Tektonik und Archi-Tektonik. Was interessiert dich daran?
Betrachtet man die Hintergründe, die Frage nach der Ursache, die das äußere Erscheinungsbild dessen, was wir sehen, ausmacht, so fasziniert mich das anstehende Spannungsverhältnis. Die Differenz ergibt sich aus der Definition der Form und damit schlussendlich des Inhalts.
In der Natur sind es die physikalisch-chemischen Gesetze und stofflichen Kreisläufe (Kreislauf der Gesteine, Kohlenstoff-, Wasserkreislauf etc.), die letztendlich genau jenes prozessunterlegene Bild prägen, das wir wahrnehmen und mit dem wir bestimmte Gefühle verbinden. Das kann unter anderem das erschütternde Bild eines Erdrutsches oder Erdbebens mit eingestürzten Häusern sein, das uns eher bedrückt, oder der Anblick der wundervoll elegant geschwungenen Fassadenstrukturen des Grand Canyon, dessen Anblick uns in Freude und Staunen versetzt.
In der Architektur finden prinzipiell die gleichen Materialien und Stofflichkeiten ihre Verwendung. Der maßgebliche Unterschied besteht jedoch, im Vergleich zur Natur, in der absolut unterschiedlichen Zusammensetzung einzelner Komponenten. Für den Bau einer Häuserwand sind, wie in der Natur, Gesteine die Grundlage. Jedoch fand eine mechanische Bearbeitung statt, aus der ein homogenes Mehl wie etwa Zement oder Sand resultiert, woraus durch Beigabe von Wasser Mörtel wird.
Dieses einfache Beispiel soll nur verdeutlichen, wie das Material an dieser Stelle durch den Gedanken, den Intellekt des Menschen und schlussendlich durch die Entwicklungsprozesse der immer stärker technisierten, digitalisierten und mediatisierten Gesellschaft definiert und verändert wird. Komplexe visuell-ästhetische Eindrücke, die aus stetig spektakulärer werdenden architektonischen Formen stammen, stehen an dieser Stelle im engen kontrastreichen Dialog zu jenen Strukturen aus der geologischen erdgeschichtlichen Formenwelt.
Die Erdgeologie hat einen großen Einfluss auf deine Arbeit – wenig überraschend, denn du hast neben deinem Kunststudium auch Geografie studiert. Wie beeinflusst dieses Studium deine Arbeit?
Vorwiegend inhaltlich, von der Vorgehensweise her eher weniger – und wenn ja, dann sind es methodische Abläufe. Aber das findet meist im Hintergrund statt. Viele Parallelen gibt es aber bei der Erforschung bzw. Eroberung des Raums, was in der Geografie wie in der Bildhauerei eine wesentliche Rolle spielt. Da waren die stadtgeografischen und naturräumlichen Exkursionen schon von großem Vorteil, um den Blick für den Raum und die Dinge, Verhältnisse und Prozesse im Raum zu schärfen.
Wieso sind dann architektonische Formen zunehmend interessanter geworden?
Ganz einfach deshalb, weil die architektonischen Formen, sofern sie erhalten geblieben sind, häufig einen Status quo der soziopolitischen und ökonomischen Entwicklung unserer Gesellschaft darstellen und dokumentieren.
Du sprichst von der „Eroberung oder Erforschung von Raum“, an anderer Stelle auch von „Definition von Raum“ – was heißt das?
Das meint zunächst zwei verschiedene Definitionen, die des physischen und die des metaphorischen Raums, die jedoch in enger, komplexer und dialektischer Wechselwirkung stehen:
Physische Räume, die uns im Alltag umgeben, haben bestimmte Maße und Gestaltungen, die je nach Funktion und Interesse des Nutzers variieren. Sie beinhalten entscheidende psychologische Komponenten, die auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten großen Einfluss ausüben. Ein Raum muss natürlich nicht ein geschlossenes System sein, sondern es kann auch ein Stadt-, Naturraum oder der heimische Garten gemeint sein. Um es an dieser Stelle kurz zu fassen: Raum kann im Sinne des mikro-, meso- und makroskaligen Bereichs verstanden werden.
Mit dem Erschaffen und Schöpfen skulpturaler Räume kommt die Dimension des Metaphorischen hinzu. Selbst gewonnene Eindrücke realer Architekturen und urbaner Umfelder werden mithilfe der Erweiterung durch Denkräume reflektiert und transformiert.
Wie ist dein Arbeitsprozess? Wie entsteht eine Arbeit?
Das kann ich nicht pauschal sagen!
Im Allgemeinen liegt eine Idee zugrunde, etwas, das ich entdeckt habe und das vor meinem geistigen Auge bereits schnell zu einem komplexen System geworden ist, sodass ich den Drang habe, es zu bauen, also physisch zu erschaffen und damit für alle Zeiten verbindlich festzuhalten.
Im Laufe der nächsten Schritte stellen sich dann Fragen nach dem geeigneten Material und wie es mit gegebenenfalls anderen Materialien kombiniert werden kann etc., es geht also um die Komposition. Es handelt sich um einen Prozess, bei dem oft Änderungen einfließen, die sich währenddessen als wichtig offenbaren.
Mit welchen Materialien arbeitest du, warum?
Prinzipiell mit allem, was auffindbar ist und bei dem ich denke, dass es meine künstlerische Intention verstärken kann.
Wie findest du Motive und Themen?
Ich bewege mich stets – nimmt man einmal die Computersprache – mit einem Speicher durch die Welt, der die Umgebung permanent scannt, selektiert, analysiert, synthetisiert, abstrahiert und geistig formt. Aus dieser Agglomeration von Eindrücken entstehen dann die künstlerischen Arbeiten.
Warum gerade Skulptur? Welche Möglichkeiten bietet dir die künstlerische – insbesondere die bildhauerische – Arbeit?
Bildhauerei bedeutet für mich, veristisch zu arbeiten. Warum sollte ich die 3. Dimension suggerieren, wenn ich die Möglichkeit habe, sie zu bauen?
In der Skulptur bietet sich mir der größtmögliche Freiraum für den Ausdruck dessen, was ich auch als eine aus der körperlichen Figuration entwickelte Performance bezeichnen kann, die die persönliche Sicht auf gesellschaftliche und architektonische Strukturen reflektiert.
Manchmal ist es hilfreich, sich mit Malerei oder Fotografie auszudrücken, dann besteht zum Beispiel die Möglichkeit, auch den Hintergrund endgültig festzulegen, was man je nach Ausstellungsräumen nicht immer ganz entscheiden kann – so schaut man etwa häufig durch die Skulptur hindurch auf eine Fensterfront, die vom Künstlerischen her gesehen ungewollt ist. Meine eingangs getroffene Aussage schmälert jedoch keineswegs meine Achtung und Faszination gegenüber den anderen Gattungen der bildenden Kunst, die ich selbstverständlich gerne betrachte!
Ich glaube, es ist “Typsache”, für welche Gattungen man sich am ehesten hinsichtlich der eigenen künstlerischen Arbeitsweise begeistern kann.
Gibt es Vorbilder, Inspirationen für deine Arbeit?
Vorbilder habe ich nicht.
Es gibt jedoch eine Reihe von Künstlern, deren großartiges Werk ich grundsätzlich sehr schätze. Dazu wären unter anderem folgende Künstler zu nennen, ganz ohne besondere Reihenfolge: Eduardo Chillida, Richard Deacon, Thomas Rentmeister, Sol Lewitt, Anthony Caro, Tony Cragg, Georg Herold, Herbert Brandl, K. O. Götz, Per Kirkeby, David Smith, Richard Serra, Henry Moore, Auguste Rodin und Antonio Canova.
Meine Formfindung beruht auch auf einer Auseinandersetzung mit philosophischen Richtungen.
Daneben sind es im weitesten Sinne Natur- und Stadträume und deren Veränderung, die Grundlagen meiner Inhalte bilden. Manchmal sind es auch kleine eher unauffällige, aber sehr maßgebliche Details, die ich entdecke und in die Komposition mit Einfließen lasse.
In deinen neueren Arbeiten geht es auch darum, Ästhetiken und Materialien zu thematisieren, die für gewöhnlich als Abfall oder nicht verwertbare Reste bezeichnet werden. Du verarbeitest solche „Fundstücke“ – dies und auch die Farbigkeit deiner Oberflächen, die mittlerweile stärker und „bunter“ sind, konterkariert diese gegenwärtige „Sucht nach Perfektion“ im Design mit einem. Welche Rolle spielt Humor und Ironie für deine Arbeit?
Ironie und Humor sind wichtig, stehen aber nicht im Vordergrund. Manchmal erscheint es mir angebracht, die eine oder andere Farbwahl auf den Spitze zu treiben, um die Seriosität ein wenig zu kippen. Manchmal finde ich die ewige Perfektion, mit der Dinge unseres Alltags gefertigt sind, einfach nur stupide, um nicht zu sagen langweilig. Sogar manche Kunstwerke bekannter Künstler sind im Stile industrieller Perfektion gearbeitet. Aus diesen Beobachtungen entsteht ab und an der Drang, einen Ausgleich zu schaffen.
Im Zuge des heutigen gesellschaftlichen Konsumverhaltens landen viele Dinge im Abfall, da nur der heile und in sich geschlossene Gegenstand als wertvoll gilt. An dieser Stelle erscheint es notwendig, eine Gegenposition mit einzubeziehen.
Michael, herzlichen Dank, dass du uns an deiner Arbeit teilhaben lässt!
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