„Es geht immer um den gegebenen Raum. Der Raum entscheidet über alles.“ INTERVIEW mit Kai Richter
Gelbe Doka-Trägerbalken ragen in den Raum, durchstoßen eine Gipswand. Daneben eine Konstruktion aus Gerüstteilen. Ein verschalter Bogen scheint darauf zu warten ausgegossen zu werden. Was aussieht, wie eine Baustelle, ist eine Ausstellung in der Kölner Galerie Christian Lethert, die neue Arbeiten von Kai Richter zeigt.
Der Düsseldorfer Künstler arbeitet mit typischen Baumaterialien, mit Brettern, Metallelementen, Gerüst-Teilen und den charakteristischen gelben Doka-Trägern. Aus diesen errichtet er imposante und dabei doch fragil wirkende Skulpturen, die oft buchstäblich aus dem Raum heraus entstehen: Richter beschäftigt sich intensiv mit den Räumen, in denen seine Arbeiten entstehen und baut in Reaktion auf die und mit den besonderen Gegebenheiten, die er vorfindet.
Seine Ausstellung “Break through the Lines” in der Galerie Lethert ist noch bis Ende August (verlängert!) zu sehen.
Im Interview mit deconarch.com spricht Kai Richter darüber, warum er gerade mit diesen Materialien „baut“, wie seine Raum-Arbeiten entstehen und warum gerade Marlene Dietrich ein Vorbild für ihn ist.
all illus. (c) Kai Richter, www.kairichter.eu
INTERVIEW
In deinen Skulpturen arbeitest du vor allem mit typischen „Baumaterialien“ wie Doka-Trägern oder Gerüstelementen. Warum gerade diese Materialien?
Baumaterial eignet sich, ganz simpel gesagt, sehr gut zum Bauen. Das konstruktive Potential im Material kommt mir sehr entgegen. Es wird im Alltag genau dafür gebraucht.
Zum Baumaterial bin über einen einfachen Gedankengang über Architektur gekommen: Wenn man Architektur während der Bauphase beobachtet, kann man sehen, wie sie sich jeden Tag verändert. Bauarbeiter folgen in dieser Phase einem konstruktiven Plan, um ein Gebäude aufzubauen.
Der Architekt bestimmt die Erscheinung, die Außenhaut des Gebäudes, also die Zeit vom Aufbau bis zum Abriss. Fertige Architektur zeigt in der Regel, wann sie gebaut wurde. Der Aufbau und der Abriss selbst hingegen sind „zeitlos“, denn da wird es praktisch, die Fragestellungen sind konstruktiv und nicht dekorativ.
Das heißt, dich interessiert besonders der Entstehungsprozess von Bauten, also gewissermaßen das Dynamische in der Architektur, die ja, wenn sie dann fertig ist, mehr oder weniger statisch ist und sich nicht mehr wirklich verändert?
Eine Skulptur im Raum, einmal aufgebaut, behauptet sich ja nicht durch ständiges Umbauen. Jedenfalls nicht bei mir. Für die Zeit der Ausstellung bleibt sie eine Behauptung, festgefügt. Genau wie bei fertiger Architektur. Abbau oder Abriss sind immer die Grenze. Im Ausstellungsbetrieb sind die Grenzen aber deutlich kürzer.
Man kann die Bauphase eines Gebäudes, die Dynamik, die Veränderungen, die Lösungen der Arbeiter nicht auf die Kunst übertragen. Die Räume werden ja erst gebaut.
Mich interessieren die Raumfragen in Bezug auf die Möglichkeiten der Skulptur.
Ulrich Coersmeier hat in einem Text über mich geschrieben: „Der Architekt betritt den Raum, sieht Architektur, ist verwirrt, der sonst gesuchte Perfektionismus spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Gestaltungsgesetze, die er seinen Studenten zu vermitteln sucht – grenzwertige Architektur? Grenze zwischen Architektur und der anderen, der freien Kunst? Oder verdrängtes Potential der Architektur. Fragen drängen sich auf.“ (Ulrich Coersmeier in: zweigeschossig, Kai Richter, 2006)
Und warum „baust“ du? Oder anders gefragt: Warum Skulptur?
Warum baue ich? Das Physische beim „Bauen“ ist wichtig – meine Körpergröße, komme ich an bestimmte Stellen oder ist mein Arm doch zu kurz? Ist das Material zu schwer, um es an den vorgesehen Ort zu platzieren? Hält das überhaupt? Das direkt Emotionale spielt eine wesentliche Rolle.
Ich gehe mit einem genau durchdachten Plan in Räume. Positiv ist es, wenn ich Lösungen finde, die ich beim Planen noch nicht denken konnte.
Aber vielleicht ergeben sich irgendwann später andere Fragestellungen? Fotografie und Zeichnung wiederum nutze ich, ich zeige sie nur nicht, weil ich mit dem Bauen direkter zum Ziel komme, und für mich Gedankenstützen sind.
Zur Skulptur bin ich über die Beschäftigung mit Kunst gekommen, ich glaube, „Entwicklung“ ist ein guter Begriff dafür. Vor allem ist es immer Neugierde, die mich motiviert. Raumfragen. Darüber hinaus kann ich durch die skulpturale Arbeit visuell denken, das heißt zu Lösungen kommen, die ich vorher nicht denken konnte. Ein Wechselspiel zwischen dem Denken und der praktischen Arbeit.
Kannst du diese Entwicklung, von der du sprichst, etwas näher beschreiben?
Es ist schwer, so einen Prozess zu umschreiben. Skulptur hat mir immer etwas vermittelt, es gibt aber keinen bestimmten Punkt, an dem ich mich bewusst dafür entschieden hätte. Da kam eine Fragestellung zur nächsten. Frühe Arbeiten von mir hatten kinetische Wurzeln, mich interessierte die Bewegung, das ständige Verändern im System. Ich denke, eine Lösung hat bei mir einfach eine neue Fragestellung aufgeworfen. Solange das nicht endet mache ich weiter.
Warum Kunst? Welche Möglichkeiten bietet dir die künstlerische Arbeit?
Der erste Bildungsweg lief bei mir beschwerlich. So musste ich mit 15 eine Lehre als Industrie-Mechaniker absolvieren. Um der Situation zu entgehen, habe ich dann später die Schule durch den zweiten Bildungsweg nachgeholt. Soweit ich mich erinnere, dachte ich, dass es in der Fabrik keine Kunst gibt, würde ich Kunst machen, wäre ich woanders. Naiv, aber es hat funktioniert. Jedenfalls ist mir der Wille zur Skulptur geblieben. Nach einem späten Abitur kam ich zur Kunstakademie.
Wie ist dein Arbeitsprozess? Wie entsteht eine Arbeit – etwa „durchgestoßen“, die aktuell in der Galerie Christian Lethert in Köln zu sehen ist und für die tatsächlich mit Doka-Trägern eine Wand durchstoßen wurde.
Der Raum ist die Ausgangslage. Mit meinen Möglichkeiten baue ich in ihn hinein. Für mich ist der leere oder der gegebene Raum voll. So entstehen meine Skulpturen, raumbezogen.
Die Arbeit „durchgestoßen“ beispielsweise hat mit der Fragestellung zu tun, ob eine Skulptur auch Aussagen über zwei Räume gleichzeitig machen kann. Um Aussagen über zwei Räume machen zu können, habe ich die Wand der Galerie durchgestoßen und beide Räume mit einer Skulptur besetzt.
Ich schaue mir den Raum lange an. Da hilft es nicht zu zeichnen oder ein Modell zu bauen. Eine Arbeit wie „durchgestoßen“ muss in einem Zug sitzen. Diesen Prozess kann man nicht zeichnen, nicht mit einem Modell kontrollieren. Da muss man sich im konkreten Raum sehr konzentrieren.
Trotzdem zeichnest du auch und fertigst Collagen …
Ich zeichne viel. Zeige die Zeichnungen aber wie die Fotos nicht. Für mich sind das Gedankenprothesen. Allerdings wertvolle Prothesen.
Collagen entstehen aus den Fotos meiner Arbeiten. So werde ich die Schwerkraft los. Das Material kann dann neu angeordnet werden, ohne den Bedingungen des realen Raumes folgen zu müssen. Man könnte das auch mit Fotoshop lösen, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ich schneide mein Material mit dem Skalpell heraus, klebe es, überklebe es. Das Material bekommt Volumen. Es wirft Schatten, es biegt sich. Wird im zweidimensionalen Raum dreidimensional. Man könnte das Skalpell mit einer Säge vergleichen, den Kleber mit Schrauben. Mit dem Rechner wäre ich zu weit entfernt, meine Hände hätten zu wenig Einfluss.
Wie findest du Motive und Themen?
Der Raum gibt alles vor! Er ist die bestimmende Kraft. Deshalb entstehen meine Arbeiten direkt im Raum. Die allermeisten würden nicht durch die Tür passen.
Anders mit meinen Modellen: In ihnen stelle ich Prognosen an für Räume, die ich nicht kenne. Das bedeutet aber, dass man für die Umsetzung funktionierende Räume erst noch finden müsste. Das ist mir bisher noch nicht gelungen. Aber vielleicht sieht ein Architekt mal ein Modell und baut den passenden Raum dafür!
Gibt es Vorbilder? Inspirationen?
Das muss ich Nachdenken. Aber der Lebensweg von Marlene Dietrich ist für mich beispielhaft!
Marlene Dietrich? Das überrascht an dieser Stelle!
Dietrichs Haltung im dritten Reich zum Beispiel. Dass sie Göbbels eine Absage erteilt hatte, obwohl ihre Karriere in den USA in ungünstiges Fahrwasser geraten war. Das ist, wie ich finde, ex post betrachtet, eine Leistung. Das hat damals nicht jeder hinbekommen. Das gilt auch für heute. Deshalb steht ihre Leistung nicht nur für erfolgreiche Unterhaltung, sondern auch für ein anderes Deutschland.
Kai, herzlichen Dank, dass du uns an deiner Arbeit teil haben lässt!